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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0108
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102 Max Dvofak.

gleichzeitigen böhmischen Tafelgemälde (vgl. Fig. 25 und 26), so bemerkt man sogleich die grund-
legenden Unterschiede in den Aufgaben des Malers, in den stilistischen und technischen Mitteln, Unter-
schiede, die sich auf locale Entdeckungen absolut nicht zurückführen lassen.

In der Miniaturmalerei haben wir eine analoge Stilwandlung auf eine bestimmte Quelle zurück-
führen können. Das dürfte in der monumentalen Malerei kaum möglich sein und es drängt sich die
Frage auf, ob es sich nicht um ein weit allgemeineres Problem handelt, bei dem bestimmte temporäre
und locale Einflüsse erst in zweiter Reihe in Betracht kommen und eher eine Folgeerscheinung als
die Ursache bilden.

Werfen wir einen Blick auf die Entwicklung in den wichtigsten Kunstcentren des Nordens. Wir
haben gehört, dass fast plötzlich die nordischen Maler in Avignon unter Clemens durch Italiener er-
setzt wurden. Man könnte dafür kaum einen anderen
Grund ausfindig machen als — sagen wir vorläufig —
eine Aenderung des Geschmackes. Denn die Beziehungen
zu Italien waren unter Johann sicher nicht geringer als
unter Clemens. Gold- und Silbergeräthe und Schmuck-
sachen wurden bereits am Anfange des Jahrhunderts so
wie später aus Italien, vor Allem aus Siena bezogen.
Dagegen bleibt die Architektur und Sculptur in der Pro-
vence bis zur Renaissance ohne fremden Einfluss. Der
Bericht Petrarcas entspricht jedenfalls der allgemeinen
Auffassung. Um die Mitte des Jahrhunderts wurde in
Avignon Simone Martini für den grössten Maler des Zeit-
alters gehalten. Dieser Ruhm beruhte nur zum Theil
auf seiner individuellen Begabung. Seine Kunst und die
Kunst seiner Landsleute war die neue Kunst, die von
der älteren französischen Malerei in vielfacher Hinsicht,
principiell verschieden war. Man kann deshalb weder
von einem vorübergehenden Geschmackswechsel sprechen
noch von einer zufälligen Substitution einer Kunsttra-
dition durch eine andere parallele, gleichzeitige und
gleichwerthige.

Völlig klar wird uns diese Eroberung des Nordens
durch die neue italienische Malerei dort, wo es keine
directe Invasion der Italiener gegeben hat, in den alten
Fig. 27. Hermann Wynrich, Grablegung (Köln). Kunstcentren mit einer tiefeingewurzelten Kunstüber-
lieferung.

Es gibt wenige Kunstgebiete und Kunstepochen, in denen man eine einheitlich und völlig noth-
wendig erscheinende Entwicklung eines bestimmten Stiles von Anfang an so schrittweise verfolgen
könnte wie in der französischen Malerei des späteren Mittelalters. Das überreich erhaltene Material an
Glasgemälden und Miniaturen gewährt einen ausreichenden Einblick in die einzelnen Stadien des
neuen Stiles, dessen Entwicklung, an eine bestimmte, wohl stets wachsende Anzahl von Compositionen
und Cyklen gebunden, sich vom XII. bis zum XIV. Jahrhundert als die progressive Lösung von ganz
bestimmten Darstellungsproblemen, etwa wie in der älteren griechischen Vasenmalerei, vollzogen hat.
Der Genesis einer bestimmten Composition oder eines Cyklus von Illustrationen kann man ebenso
durch Jahrzehnte, ja oft durch Jahrhunderte nachgehen wie der Entstehung einer bestimmten typischen
Landschafts- oder Architekturdarstellung. Der so wunderbar strenge und einheitliche Stil ist ein
Resultat dieser Gebundenheit und Beschränkung im Streben und Können und es wäre möglich, zur Be-
kehrung Aller, die von einem Idealismus oder von einem bewussten Stilisiren der gothischen Kunst
sprechen, ein Bilderbuch aus französischen Miniaturen und Glasgemälden des XII. bis XIV. Jahrhun-
 
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