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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0115
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

I09

unter sind die Miniaturen von Andre Beauneveu in dem Psalter (Mst. fr. i3ogi) der Pariser National-
bibliothek,1 die Werke des Jacquemart de Hesdin — es sind von ihm die zwei grossen Miniaturen des
Gebetbuches Nr. 11060 der Bibliothek in Brüssel, der Schmuck der Grandes Heures (Mst. lat. 919 der
Pariser Nationalbibliothek) und der Petites Heures des Herzogs von Berry (Mst. fr. 18014 derselben
Bibliothek) und schliesslich ein Theil der genannten Handschrift Mst. fr. i3ogi2 — und ferner »die
Königin der illuminirten Handschriften«, die tres riches Heures des Herzogs von Berry, ein Werk der
Brüder von Limburg.

Ich habe nur das sichere und beiläufig datirbare Material genannt. Es Hesse sich eine Reihe
von Tafeln aufzählen, welche den burgundischen verwandt sind, und mit den genannten Hand-
schriften könnte eine lange Reihe von anderen Arbeiten in Verbindung gebracht werden. Doch das
Angeführte genügt zu einer Charakteristik des Stiles der an beiden Höfen beschäftigten Künstler.

Wir finden in diesen Werken, die aus den letzten Jahrzehnten des XIV. und aus den ersten
Jahren des XV. Jahrhunderts stammen, durchwegs eine italienische Beeinflussung. Man kann tosca-
nische, und zwar vorwiegend sienesische Züge in der Technik und in der Farbengebung, in der Art
des Componirens, in der Behandlung der Gewänder, der Landschaft, der Architekturen wie auch
in den Typen beobachten, ohne dass es sich um eine treue Nachmalung italienischer Vorbilder
handeln würde. Es fragt sich, ob den Entlehnungen eine tiefere kunstgeschichtliche Bedeutung zuzu-
sprechen ist.

Doch weit wichtiger ist zunächst die Beantwortung einer anderen Frage. Wir sehen auf den
ersten Blick, dass auch die Kunst an den beiden Höfen von der französischen Kunst der ersten Hälfte
des XIV. Jahrhunderts durch eine völlige Stilwandlung getrennt ist. Bereits Molinier hat diese Be-
obachtung gemacht: »Au XIV siecle le progres est grand et se marque suftout vers 1350; les manuscrits
executes pour le roi Jean sont encore ornes ä la mode du temps de Saint Louis; le dessin est meilleur,
l'ornamentation plus riche, mais les procedes sont restes ä peu pres les meraes. Trente ans plus tard
les artistes ont fait des progres etonnants et on ne saurait comparer aux miniatures du breviaire de
Belleville, si fines qu'elles soient, les admirables peintures d'Andre Beauneveu ou Pol de Limbourg.«3
Der Stilwechsel ist im Wesentlichen derselbe, den wir auch in Böhmen beobachtet haben und den wir
als den Uebergang vom zeichnerischen zum malerischen bezeichneten. Es scheint unmöglich zu sein,
zwischen der älteren heraldischen und stilisirenden französischen Malerei und dem neuen malerisch-
naturalistischen Stile der Künstler an den beiden Kunsthöfen eine Brücke zu finden.

Fassen wir die wesentlichen Merkmale des älteren und des neuen Stiles zusammen. Die Gemälde
aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts — man kann sie noch immer als gothisch und mittelalterlich
bezeichnen — sind entweder im Stile der Bücherillustration des XIII. Jahrhunderts oder der Glas-
gemälde gehalten. Die Kunst, die ihnen zu Grunde liegt, stellt sich nur zweierlei Aufgaben: des ein-
fachen Decorirens und der Erzählung; die Bilder sind nur Tapeten und Fabeln. Ein naturalistischer
Hintergrund und Raum wird in der Regel nur da dargestellt, wo dazu eine textliche Veranlassung vor-
gelegen ist. Die Modellirung der Einzelngestalt geht zwar darüber hinaus und wird fast consequent
durchgeführt, jedoch vielfach mit merkwürdigen Einschränkungen: die Gesichter werden entweder
ganz ausgespart oder nur durch rothe Flecken auf den Wangen modellirt und, was wichtiger ist, die
Umrisszeichnung coneurrirt noch völlig mit der Modellirung. Die Gewänder werden wohl
plastisch gemalt, daneben wird jedoch die ursprüngliche scharf hervortretende Contourzeichnung, die
auch die wichtigsten Falteneinschnitte umfasst, ähnlich wie in modernen Placaten stehen gelassen oder
auch neu nachgezogen. Die Bilder gestalten sich als ein Compromiss zwischen einer Umrisszeichnung
und einem durchmodellirten Gemälde.

1 Diese Miniaturen sind oft veröffentlicht worden. Eine zusammenfassende Arbeit über Beauneveu schrieb Durieu,
Paris 1897.

2 Ueber diese Handschriften vgl. Delisle, Les livres d'heures du duc de Berry: Gazette des beaux-arts 1884, und
Lastairie in den Monuments Piot 1898. •

3 Les manuscrits et les miniatures, Paris 1892, p. 237.

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