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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0120
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H4

Max Dvofäk.

Typen, welche der toscanischen und insbesondere dersienesischen Malerei entnommen wurden, allgemein
sowohl in den Tafelbildern als auch in zahlreichen Miniaturen unserer Gruppe. Manchmal sind die
Figuren in Costüm und Typus vollkommen italienisch, wie z. B. noch in einzelnen Miniaturen der Hand-
schrift in Chantilly (Fig. 3g); manchmal führt die Anregung durch italienische Vorbilder nur zu Ver-
suchen, objectiv schöne und süsse Köpfe und anmuthige Idealgestalten zu erfinden, wie bei Broederlam.
Im Ganzen war jedoch der italienische Einfluss in dieser Beziehung am wenigsten andauernd und um-
gestaltend. Die wahrscheinlich mehr als ererbte Freude des Nordens, allen dargestellten Personen ein
subjectives Leben zu verleihen, war mächtiger als der italienische Einfluss. Nur einzelne Typen und
vielleicht auch bestimmte ästhetische Einschränkungen haben sich lange erhalten. Der bis zu Convul-
sionen schmerzverzerrte Christus mit abgemagertem Körper und eingefallenen Wangen, die caricaturen-
haft lächelnde Madonna mit einer nordisch unproportionirten Gestalt, starken Backenknochen und her-
vortretenden Augen verschwinden ganz. Der Erlöser wird ein Abbild idealer Mannesschönheit, voll
Kraft in der Gestalt und ernst und milde in den Zügen. Es ist das ein Typus, der uns in der modernen
Malerei zuerst bei Duccio und in sienesischen Miniaturen begegnet, dessen Ursprung jedoch in
der antiken Kunst zu suchen ist. Auch in den Mariendarstellungen lässt sich das Festhalten an
einem Conventionellen Schönheitstypus, der der gothischen Kunst unbekannt war und dessen un-
mittelbare Vorbilder ebenfalls in der Toscana entstanden sind, lange beobachten. In der vielbewun-
derten Lieblichkeit der Züge und dem feinen Oval des Köpfchens z. B. der Madonna mit der Bohnen-
blüthe liegt zum mindesten ebensoviel Schema wie locale und persönliche Erfindung. Im Anschlüsse
an gothische Sculpturen hätten solche Köpfe nie entstehen können.

Wir haben bereits früher die Weiterbildung besprochen, welche die mittelalterliche und gothische
Ornamentik in der italienischen Trecentomalerei erfahren hat. Während sich das Ornament, vor
Allem das Bücherornament im Norden noch immer an die alten mittelalterlichen Grundformen wie an
ein Gerippe anschliesst oder einfach als Tapete gestaltet wird und stets mehr oder weniger ein
Flächenornament bleibt, sind in Italien die Hauptprincipien des mittelalterlichen Decorirens ganz
aufgegeben worden, indem auf das spätantike, plastisch gestaltete Ornament zurückgegriffen wurde.
Der italienische Einfluss erstreckt sich in den burgundischen und nordfranzösischen Handschriften auch
auf die Ornamentik. Man beachte z. B., wie der Illuminator der Randleisten auf unserer Abbildung
Fig. 3o bestrebt war, die italienischen Rankenmotive mit der Dornblattornamentik zu einem einheit-
lichen System zu verknüpfen. In solchen Versuchen wirken noch die alten Gesetze nach. Zumeist
nahm man sich nicht so viel Mühe, verwendete die italienischen Ranken und einzelne Rankenblätter
unvermittelt neben alten französischen Motiven zum Schmucke der Bordüren. Man findet in jeder
Bibliothek Beispiele dafür. Diese Vermehrung des Motivenschatzes der französischen Illuminatoren
war von einer grossen Bedeutung für die Geschichte der Ornamentik. Es sind in sie Motive ein-
gedrungen, die in keinem Zusammenhange mit dem mittelalterlich gebundenen Bücherornament waren
und in denen Blätter und Zweige selbständig und unter Berücksichtigung ihrer plastischen Erscheinung
verwendet wurden. Es wurde dadurch der Damm einer tausendjährigen Tradition durchbrochen und
bald darauf ersetzen die französischen und flandrischen Büchermaler der Hauptströmung ihrer Kunst
gemäss die stilisirten Akanthusranken durch treue, peinlich genaue Nachmalungen von heimatlichen
Blättern, Blüthen, Pflanzen u. s. w. In Handschriften aus der Wende des XIV. und XV. Jahrhunderts be-
stehen die Randverzierungen aus einem bunten Gemisch von alten Flächenornamenten und neuen
naturalistischen Pflanzenmotiven. Die Ersteren wurden dann immer mehr zurückgedrängt und die
Letzteren immer mehr ausgebildet, bis man in den Bordüren der sogenannten burgundischen Hand-
schriften zu einer naturalistischen Blumenmalerei gelangte, die vielleicht später nie mehr übertroffen
wurde. Die goldene Zeit der Bücherornamentik als Flächenverzierung wurde jedoch durch die
Aufnahme des italienischen Rankenornaments abgeschlossen.

Die wichtigsten Neuerungen in der Stilwandlung, welche in der französischen Malerei in der
zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts eingetreten sind, lassen sich also ebenfalls auf italienischen Ein-
fluss zurückführen.
 
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