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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0123
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

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toscanischen Malerei entsprechen. Man lernt mehr von den Sienesen als von Giotto und von Simone
Martini eignet man sich hauptsächlich dasjenige an, was er bereits von Duccio ererbt hatte. Daraus
ist leicht ersichtlich, was sich aus der älteren Malerei auch in den neuen Schulen erhalten hat.

Ist es möglich, dass sich ein Ausgleich zweier grosser Kunstströmungen mit denselben Ergeb-
nissen und Einschränkungen in verschiedener Zeit und in verschiedenen Gebieten wiederholt hätte,
wenn dafür nicht die zeitlich erste und als ein Ergebnis von ganz besonders günstigen historischen
Vorbedingungen in dem Mittelpunkte der neuen stark italianisirten Cultur erfolgte Verknüpfung der
modernen italienischen Malerei mit der älteren gothisch-französischen Tradition vorbildlich gewesen
wäre? Ich meine, müsste nicht derjenige Stil, in dem sich zum erstenmal die neuen malerischen Pro-
bleme mit den Kunstanschauungen nördlich der Alpen vereinigen, ebenso normativ wirken wie z. B.
die Lösung, welche für architektonische Fragen in der Isle de France gefunden wurde?

In Avignon lassen sich um die Mitte des Jahrhunderts unzählige Künstler aus Nah und Fern nach-
weisen, die sich wieder zerstreuen, als die grossen Aufgaben beendet wurden. Zwischen Prag und
Avignon haben wir eine Strasse gefunden und die nächste Parallele für die ältesten burgundischen
Tafeln sind Bilder im Stile des Triptychons in Carpentras. In Burgund scheint, wie gesagt wurde, die
kölnische Malerei die entscheidende Anregung empfangen zu haben. Unser Material an Nachrichten
und Denkmälern reicht nicht aus, die Verzweigung und gegenseitige Beeinflussung der neuen Schulen
genau festzustellen. Das ist jedoch auch erst in zweiter Reihe von Belang. Als ob es möglich wäre,
heutzutage die Wege zu verfolgen, auf denen sich ein neuer persönlicher oder localer Stil, der einen
Kunstfortschritt bedeutet, bald in alle Kunstcentren verbreitet! Es ist ein grober Irrthum, wenn man
immer wieder annimmt, die Verhältnisse wären in dieser Beziehung im XIV. Jahrhundert oder später
anders gewesen; man nehme nur z. B. eine allgemeine Literaturgeschichte zur Hand.

Mit dieser Darstellung mag der geschichtliche Verlauf der Reception der neuen italienischen
Malerei im Norden richtig erfasst worden sein; die Erklärung dafür dürfte doch noch anderswo zu
suchen sein als in den politisch-historischen Ereignissen des päpstlichen Exils, auf welche die älteste
Kunstforschung hingewiesen hatte, oder in dem allgemeinen Eindringen neuer cultureller Formen und
Ideen aus Italien nach dem Norden, welches in dieser Zeit begonnen hat und auf welches vor fünfzig
Jah ren oder später das grösste Gewicht gelegt worden war, oder in der einfachen Feststellung des
Schulzusammenhanges, die vermuthlich die Kunsthistoriker neuesten Datums am meisten interessiren
würde. Es kommen folgende Erwägungen in Betracht.

Man hat sich bisher wenig den Kopf zerbrochen mit der Frage nach dem Ursprung der Kunst in
den neuen mittel- und nordfranzösischen Kunstcentren. Es ist das, wie wir sehen werden, eine Frage
von fundamentaler Wichtigkeit für die Geschichte der Kunst. In den vielen und glänzenden Schilde-
rungen des Kunstlebens an den französischen Höfen in dem letzten Viertel des XIV. Jahrhunderts wird
gewöhnlich kurzweg gesagt, dass der neue Stil und die neue Kunstblüthe den aus Flandern berufenen
Künstlern zuzuschreiben sei, und zur Unterstützung der These auf den späteren Naturalismus der
Flamländer hingewiesen. Die meisten der Hofkünstler Philipps des Kühnen und des Herzogs von
Berry stammen allerdings aus Flandern oder aus den nördlichsten Provinzen Frankreichs. Doch die
sorgfältigsten Untersuchungen Dehaisnes und Anderer über die spätmittelalterliche Kunst in der angeb-
lichen Heimat der neuen Strömungen haben nichts zu Tage gefördert, was in irgendwelcher Hinsicht
über den gleichzeitigen allgemein französischen Stil hinausgehen würde. Flandern ist um die Mitte
des XIV. Jahrhunderts den französischen Gebieten gegenüber eher arm als reich an Kunstleben und
Kunstwerken. Dagegen weisen zahlreiche Spuren anderswohin.

Die Hauptarchilekten sowohl Philipps des Kühnen als auch des Herzogs von Berry waren die
Brüder Guy und Drouet de Dammartin, beide auch Bildhauer, welche früher in den Diensten Karls V.
gewesen waren und den Bau des Louvre geleitet hatten.1 Es ist schon daraus ersichtlich, wo die Vor-

1 Die Belege für dies und das Folgende finden sich in den bereits citirten Urkundenwerken des Laborde und Cham-
peaux, ferner bei Dehaisne, Documents concernant l'histoire de l'art dans la Flandre, l'Artois et le Hainaut avant le XV
siede (Lille 1886) und Guiffrey, Inventaires de Jean, duc de Berry (Paris 1894).

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