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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0126
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Max Dvofäk.

hängigen Kunst, das eigentliche und letzte Ziel meiner Ausflüge in das Gebiet der mittelalterlichen
Kunstforschung, blieb bis jetzt so gut wie unerschlossen. Es sei mir erlaubt, hier kurz nur das zu
sagen, was für unsere Frage in Betracht kommt.

Bis zum XII. Jahrhundert entwickelte sich die mittelalterliche Malerei im Westen und im Osten
als ein Nachleben der antiken Tradition. Man verdankte der antik-altchristlichen Kunst mehr als nur
einen Cyklus von biblischen Compositionen. Die Compositionen wurden frei neugestaltet, doch allen
Variationen liegen Gesetze und Formen des malerischen Schaffens zu Grunde, die von der Antike ent-
deckt, dann von Generation zu Generation überliefert wurden. Während sich jedoch im Osten das
wichtigste Ergebnis der Entwicklung der antiken Malerei, die Auffassung des Bildes als eine treue Dar-
stellung eines dreidimensionalen Raumausschnittes, fast ohne Einbusse erhalten hat, wurde im Westen
der räumliche Abschluss der Composition nach und nach aufgegeben. Es liegt dieser Auflösung des
Bildes in einzelne epische Scenen und Illustrationen nicht so sehr ein bewusstes Uebergehen zu einem
neuen Kunstprincipe zu Grunde, als vielmehr ein unbewusstes Zurückgehen zu einem primitiveren
Entwicklungsstadium der Kunst. Das wird unzweifelhaft dadurch bewiesen, dass man Formen, die
nur als ein Attribut der raumdarstellenden antiken Malerei einen Sinn hatten, als eine verständnislos
erlernte Sache und als eine Last, durch die die eigenen Ausdrucksmittel nur gehindert wurden, lange
Zeit weiterschleppt. Es ist das vor Allem die Modellirung der Figuren, die conventionell geworden ist
und die man nicht im Sinne der eigenen Beobachtung und Erinnerung an die Gegenstände zu erfinden
vermochte. Wir reproduciren eine Glasmalerei aus dem XII. Jahrhundert, also ein Gemälde, bei dem
die Technik sowohl den Anschluss an ein bestimmtes Vorbild am wenigsten wahrscheinlich erscheinen
lässt als auch sicher nicht der Verwendung einer malerischen Modellirung besonders günstig ist.
Dennoch ist die Figur vollständig malerisch behandelt worden (Fig. 34). Die Schattenstriche be-
grenzen nicht einfach das Gewand und dessen Einschnitte sondern erscheinen als eine vielfach miss-
verstandene schematische Andeutung einer malerischen Modellirung. Vergleichen wir damit ein Glas-
gemälde aus dem XIII. Jahrhundert (Fig. 35). Im Sinne unserer Malerei könnte man von einem Rück-
schritte reden. Die malerische Modellirung wurde durch eine zeichnerische ersetzt, an der jedoch nichts
mehr eine leere Convention war sondern jeder Strich dem Beobachtungsvermögen des Künstlers und
der Zeit entsprungen ist. Die in weit geringerer Anzahl verwendeten Schattenstriche vertreten nicht
mehr eine traditionelle malerische Randung sondern sind nur das Nothwendigste andeutende zeich-
nerische Conturen. Auch aus dem Ornament sind die plastischen und malerischen Formen fast ganz
verschwunden.

Daraus ist auch bereits ersichtlich, worin der Fortschritt bestand. Die aus einer unverhältnismässig
höher entwickelten Periode der Malerei ererbten Ausdrucksmittel der malerischen Darstellung mussten
überwunden und dem eigenen Anschauungsvermögen angepasst werden. In diesem Ausgleichsprocess
besteht die Geschichte der mittelalterlichen Malerei. Man kann einem Kinde gleich bei seinen ersten
Zeichenversuchen beibringen, dass es die Gewänder auf eine bestimmte Weise zu schattiren habe, und
so wird es bei allen Gewändern so lange thun, bis es einmal versucht, Selbstgeschautes darzustellen.
In karolingischen Miniaturen werden noch atmosphärische Lichteffecte der antiken Malerei in der Form
von bunten, sinnlosen Streifen wiederholt und in der ottonischen Zeit finden wir oft in einem und
demselben Codex eine als die unentbehrliche Zuthat einer alten Composition überlieferte richtige
Raumdarstellung und daneben eine textlich geforderte Andeutung einer Landschaft durch ornamentale
Schnörkel, einer Architektur durch Striche. Wir verstehen, weshalb ein völlig selbständiger und frei
schaffender Stil zuerst in den Ornamenten zu finden ist. Die Anfänge einer neuen malerischen Sprache
stecken in dem wüsten Conglomerat aus Trümmern des spätantiken malerischen Stiles und einer
kindlich-barbarischen Beobachtungs- und Darstellungsweise, die der westlichen Malerei vom X. bis
XIII. Jahrhundert eigen ist. Sowohl das Aufgeben des Raumzusammenschlusses als auch die Ver-
knüpfung der Scenen mit dem Ornament sind als Errungenschaften einer neuen dem Fassungsver-
mögen der mittelalterlichen Völker entsprechenden Kunst der Tradition gegenüber aufzufassen. Das
Anwachsen von Aufgaben, für welche die alte Darstellungsart nicht verwendet werden konnte, und die
 
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