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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Wickhoff, Franz: Die Bilder weiblicher Halbfiguren aus der Zeit und Umgebung Franz I. von Frankreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0230
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224

Franz Wickhoff.

italienischen Sammlungen und auch anderwärts an über den Knien abgeschnittenen Frauenfiguren
fand, wenn es nur niederländischen Charakter trug, diesem Künstler zugeschrieben: z. B. ein Werk des
sogenannten Pseudo-Mostaert, Magdalenen, ganz verschieden davon, in der Akademie zu Vene-
dig und in Wien bei Czernin und, was kaum zu glauben ist, ein rohes Musikstück im Museo Corer
zu Venedig von einem schlechten Nachahmer des Hemskerk.

Um diese heterogenen Bilder unter einen Hut zu bringen, hat er frischweg den Künstler mit
einer erfundenen Entwicklungsgeschichte bedacht. Er hätte in seiner Jugend unter dem Einflüsse

Bernhards von Orley gestan-
den, später unter dem des Mos-
taert, hätte mailändische und pal-
meske Einwirkungen erfahren
und endlich sollte er auch von
der Weise des Francois Clouet
nicht unberührt geblieben sein.
Es findet selbst eine blinde Henne
zuweilen eine Perle. Beziehun-
gen zu Francois Clouet sind
wirklich vorhanden; nur ist die
Sache gerade verkehrt: die weib-
lichen Halbfiguren sind von
einer Generation von Malern ge-
schaffen, denen Francois Clouet
seine künstlerische Bildung ver-
dankt.

Hatte Stiassny ein Bild des
Pseudo-Mostaert dem Meister
der weiblichen Halbfiguren zu-
geschrieben, so ging Theodor
von Frimmel den entgegen-
gesetzten Weg. Er theilt das
allerschönste Bild, das dem Meis-
ter der weiblichen Halbfiguren
zugeschrieben wird, die Ruhe
auf der Flucht, die sich bei
dem Senatspräsidenten Georg
Rath in Pest befand, dem
Pseudo-Mostaert zu (Kleine
Galeriestudien I, S. 25g). Einer
Widerlegung bedarf diese Auf-
stellung nicht. Zu einer Zeit, wo Frimmel von der ganzen Frage noch nichts wusste und das Bild
in der Galerie Harrach in Wien für einzig in seiner Art hielt, hat er es als französisch bezeichnet
(Chronique des arts 1888, Nr. 35). Und wenn das auch nur wegen der französischen Verse in dem
Liederbuche war, so hätte er sich doch nicht einschüchtern lassen sollen, als er hörte, dass die Mehr-
heit der Kenner bei Waagens Zuweisung an einen Niederländer blieb. Es lässt sich beides recht
wohl vereinigen; das Bild ist in Frankreich entstanden von einem Künstler niederländischer Er-
ziehung.

Die grössten Verdienste um diese Gruppe von Bildern hat sich M. J. Friedländer erworben,
der anlässlich von Ausstellungen und Versteigerungen im Repertorium für Kunstwissenschaft hervor-
hob, was jeweilig an zugehörigen Werken vorhanden war. Ihm danke ich auch mannigfache brief-

Fig. 2. Lesende Dame von Jean Clouet im Louvre.
 
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