Die Bilder weiblicher Halbfiguren aus der Zeit und Umgebung Franz I. von Frankreich.
Denisot:
Au temps quelle vivoit
Auec nous en ce monde
Ses sainct^ vers escriuoit
Da sa plume feconde:
Maintenant en esprit
Au ciel ou eile kante
Aueques IESV CHRIST
Ses sainct^ vers eile chante.
Man kann nicht höflicher, man kann nicht höfischer sein, wie es diese Uebersetzung ist. Die grosse
Frau, die während ihrer Erdentage so manche Dichter gefördert und durch collegiale Herablassung
gehoben hat, geniesst nun selbst die Ehre, dass der Sohn Gottes mit ihr zusammen die Verse singt, die
sie zu seinem Lobe gedichtet hat.
Zwei Jahre später gibt er seine Weihnachtslieder heraus und hat jedes in Musik gesetzt, damit,
wie er sagt, die Damen sie singen könnten. Ein Notenbeispiel mag einen Begriff von der Ausstattung
des hübschen Büchleins geben (Fig. 6). Es ist die Musik zu dem Liede:
Schlummerst du, Seele mein,
Für denn und für;
Christus dein Bräutigam
Steht vor der Thür.
Er muthet wohl den Damen etwas viel zu, wenn sie ihm eine lange gereimte Abhandlung singen
sollen, wie die heilige Nacht zu malen wäre, und wenn er dabei in Versen die Fehler aufführt, die die
französischen Maler bisher bei dieser Darstellung gemacht hätten.
Wahrhaftig, es wäre verlockend zu sagen, der Maler, der von den Dichtern gepriesen wurde, der
drei junge Damen, die Nichten einer Königin von England, in den schönen Künsten unterrichtet, ist
es, der unsere Bilder mit den drei jungen Damen gemalt hat, die sich an französischen Liedern er-
freuen. Aber so einfach liegt die Sache doch nicht. Denn es besteht eben auch dieses wiederkehrende
Dreigestirn aus Idealfiguren, wie die anderen Halbfigurenbilder, und nicht aus Portraits.
On ante dorme^vous En ctße
ßrteh e s vchriß voßr/efoux Frappfa la forte.
Fig. 6. Notenbeispiel aus dem Liederbuch des Denisot.
V. Anknüpfungen.
Diese weiblichen Halbfigurenbilder durch ihr Wesen an den Hof Franz I. zu knüpfen, die
Zimmer wieder aufzufinden, in denen ihre Urbilder lebten, und ihre Trachten an den bekannten Per-
sonen dieses Hofes nachzuweisen, war wohl möglich. Wie sollte es aber möglich sein, ihren Stil an den
Stil der Bilder der Hofmaler anzuknüpfen, wenn eben sie die verlorenen Bilder jener Hofmaler wären?
In den Schlössern an der Loire sind keine Wandgemälde, in den Kirchen keine Altäre aus der Zeit
erhalten. Das Einzige, was ich an diesen Orten fand, waren Stücke eines Glasfensters, mit anderen späteren
Glasmalereien zusammengestückt, an der geraden Abschlusswand des linken Seitenschiffes in Notre-
Dame-la-Riche in Tours. Aber um diese Reste einer heiligen Katharina und der Landschaft, in der sie
stand, den Meistern der weiblichen Halbfiguren zuzuweisen, muss man die Bilder sehr gut kennen. Es
lassen sich also wohl die Fragmente nach den Bildern, nicht aber die Bilder nach ihnen bestimmen. Nur
das wollen wir beachten, dass wir sie wieder an eine Stadt knüpfen, wo wir ihre Maler voraussetzen.
Näher kommen wir ihnen schon durch die Plastik. Die Büsten der Königin Claude und ihrer
Tochter Charlotte in S. Denis sehen aus wie Köpfe der weiblichen Halbfiguren, in Marmor über-
33*
Denisot:
Au temps quelle vivoit
Auec nous en ce monde
Ses sainct^ vers escriuoit
Da sa plume feconde:
Maintenant en esprit
Au ciel ou eile kante
Aueques IESV CHRIST
Ses sainct^ vers eile chante.
Man kann nicht höflicher, man kann nicht höfischer sein, wie es diese Uebersetzung ist. Die grosse
Frau, die während ihrer Erdentage so manche Dichter gefördert und durch collegiale Herablassung
gehoben hat, geniesst nun selbst die Ehre, dass der Sohn Gottes mit ihr zusammen die Verse singt, die
sie zu seinem Lobe gedichtet hat.
Zwei Jahre später gibt er seine Weihnachtslieder heraus und hat jedes in Musik gesetzt, damit,
wie er sagt, die Damen sie singen könnten. Ein Notenbeispiel mag einen Begriff von der Ausstattung
des hübschen Büchleins geben (Fig. 6). Es ist die Musik zu dem Liede:
Schlummerst du, Seele mein,
Für denn und für;
Christus dein Bräutigam
Steht vor der Thür.
Er muthet wohl den Damen etwas viel zu, wenn sie ihm eine lange gereimte Abhandlung singen
sollen, wie die heilige Nacht zu malen wäre, und wenn er dabei in Versen die Fehler aufführt, die die
französischen Maler bisher bei dieser Darstellung gemacht hätten.
Wahrhaftig, es wäre verlockend zu sagen, der Maler, der von den Dichtern gepriesen wurde, der
drei junge Damen, die Nichten einer Königin von England, in den schönen Künsten unterrichtet, ist
es, der unsere Bilder mit den drei jungen Damen gemalt hat, die sich an französischen Liedern er-
freuen. Aber so einfach liegt die Sache doch nicht. Denn es besteht eben auch dieses wiederkehrende
Dreigestirn aus Idealfiguren, wie die anderen Halbfigurenbilder, und nicht aus Portraits.
On ante dorme^vous En ctße
ßrteh e s vchriß voßr/efoux Frappfa la forte.
Fig. 6. Notenbeispiel aus dem Liederbuch des Denisot.
V. Anknüpfungen.
Diese weiblichen Halbfigurenbilder durch ihr Wesen an den Hof Franz I. zu knüpfen, die
Zimmer wieder aufzufinden, in denen ihre Urbilder lebten, und ihre Trachten an den bekannten Per-
sonen dieses Hofes nachzuweisen, war wohl möglich. Wie sollte es aber möglich sein, ihren Stil an den
Stil der Bilder der Hofmaler anzuknüpfen, wenn eben sie die verlorenen Bilder jener Hofmaler wären?
In den Schlössern an der Loire sind keine Wandgemälde, in den Kirchen keine Altäre aus der Zeit
erhalten. Das Einzige, was ich an diesen Orten fand, waren Stücke eines Glasfensters, mit anderen späteren
Glasmalereien zusammengestückt, an der geraden Abschlusswand des linken Seitenschiffes in Notre-
Dame-la-Riche in Tours. Aber um diese Reste einer heiligen Katharina und der Landschaft, in der sie
stand, den Meistern der weiblichen Halbfiguren zuzuweisen, muss man die Bilder sehr gut kennen. Es
lassen sich also wohl die Fragmente nach den Bildern, nicht aber die Bilder nach ihnen bestimmen. Nur
das wollen wir beachten, dass wir sie wieder an eine Stadt knüpfen, wo wir ihre Maler voraussetzen.
Näher kommen wir ihnen schon durch die Plastik. Die Büsten der Königin Claude und ihrer
Tochter Charlotte in S. Denis sehen aus wie Köpfe der weiblichen Halbfiguren, in Marmor über-
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