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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Wickhoff, Franz: Die Bilder weiblicher Halbfiguren aus der Zeit und Umgebung Franz I. von Frankreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0246
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Franz Wickhoff'.

setzt. Es ist das nicht so sehr durch Momente bedingt, die in der Bewältigung der künstlerischen Auf-
gabe hier und dort liegen, als dadurch, dass eben die Maler der Halbfiguren und Bildhauer der hohen
Damen ihre Modelle aus demselben Kreise holten und in einem etwas trockenen Realismus durchführten.

Geoffroy Torry, Zeichner, Verleger, Schriftsteller, hat 1529 sein Buch Chamfleury erscheinen
lassen, das ein wichtiges Zeugnis für die Geschichte der Aussprache der französischen Sprache gewor-
den ist. Uns wird er durch die vielen Constructionen von Capitalbuchstaben wichtig, die entsprechend
den Proportionen des menschlichen Körpers gebildet sind oder nach den Abtheilungen des Gesichtes.
Er erzählt uns, dass die Figürchen für die Buchstaben I und K von Jean Perreal gezeichnet seien, der
zwei Jahre vor dem Erscheinen des Buches gestorben war. Das sind Ausnahmen; die übrigen sind von
Torry, der Zeichner, ja sogar Maler war, und da ist nun wichtig, dass die Köpfe, wo sie genügend gross

sind, um verglichen werden zu können, mit den Typen
unserer Bilder stimmen.

Man besehe sich einmal die Köpfe in Vorderan-
sicht und im Profil (Fig. 8 und Fig. 9) und vergleiche
ihre runden niederen Schädel, die breite Nasenwurzel
mit den beiden Falten darüber, den Mund mit den
ihn umgebenden Faltenzügen mit einem der Köpfe
älterer Männer auf den Bildern der Gruppe, die uns
beschäftigt, z. B. mit dem des ältesten Königs auf der
Anbetung der Könige in Nürnberg (Fig. 7). Wir
haben dadurch einen chronologischen Anhaltspunkt.
Solche Köpfe, können wir sagen, hatten in Frank-
reich gegen das Jahr 1530 schon typische Verbreitung.

Eine andere Möglichkeit anzuknüpfen geben uns
die französischen Portraitzeichnungen. Jene in zwei
oder drei Farben ausgeführten Halbfiguren von Per-
sonen der hohen Gesellschaft zur Zeit Franz I. und
seiner Nachfolger, von denen sich Einzelnes zerstreut
allerwärts, grosse Bestände jedoch an zwei Orten, in
Chantilly und in der Nationalbibliothek in
Paris, erhalten haben. Eine Zeichnung aus Chan-
tilly mit dem Portrait der Madame d'Estampes
gibt unsere Tafel XXXVI. Leider kann der Reiz der farbigen Zeichnung, die in schwarzer Kreide und
Röthel mit etwas lichtem Ocker ausgeführt ist, nicht wiedergegeben werden. Auf diese Zeichnung
wurde schon früher hingewiesen, als es sich darum handelte, die Tracht der weiblichen Halbfiguren
als die Tracht am Hofe Franz I. nachzuweisen. Aber diese Zeichnung und ihre vielen Begleiter führen
uns auch sonst nahe an die Halbfiguren heran; es ist nicht nur dasselbe Costüm und dieselbe Haar-
tracht sondern auch dieselbe zeichnerische Behandlung der Einzelheiten. Man betrachte z. B. einmal
den immer gleichmässig breit ausgesparten Scheitel, die verblasene Behandlung der Brauen, die Bildung
der oberen Wimpern als einen zusammenhängenden scharfen dunkleren Strich in der weisslichen Masse
des Gesichtes, die Oberlippe, die schmal und herzförmig, meist fadenartig auslaufend sich über die brei-
tere Unterlippe vorschiebt, und alles das auf den Idealbildern der Halbfiguren ebenso gebildet wie auf
den zahlreichen Portraits. Gerade von der Hand, die das vorliegende Portrait der Madame d'Estampe
geschaffen hat, rühren eine Reihe von Zeichnungen her, die Personen aus der Umgebung des Königs
Franz in seinen späteren Jahren vorstellen. Da ist, ausser Madame d'Estampe, Diana von Poitiers
in ihrer reichen Pracht, die alternde Königin von Navarra1 und ihre Tochter Jeanne d'Albret

Fig. 7. Kopf aus der Anbetung der Könige
aus der Schule des Jean Clouet im germanischen
Museum zu Nürnberg.

1 Ein analoges Portrait der Königin von Navarra, eine Zeichnung aus der Pariser Nationalbibliothek, mit einem
Hündchen, bildet Henri Bouchot in Les Femmes de Brantome, Paris 1890, ab.
 
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