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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Wickhoff, Franz: Die Bilder weiblicher Halbfiguren aus der Zeit und Umgebung Franz I. von Frankreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0251
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Die Bilder weiblicher Halbfiguren aus der Zeit und Umgebung Franz I. von Frankreich.

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timiden Eindruck. Ich meine das nicht in Bezug auf die Malerei: gemalt sind sie ebensogut wie die
ersteren, ja ihre Stimmung ist noch feiner, sondern die Urbilder haben in ihrem Charakter etwas Ge-
drücktes. Wenn wir nun bedenken, dass Francois Clouet, beim Tode seines Vaters ig Jahre alt, an
dessen Stelle trat,1 so muss er bis dahin, wo er nirgends mit eigenem Gehalte in den Rechnungen er-
scheint, der Hauptgehilfe in der Werkstatt des Vaters gewesen sein. Und wirklich theilen seine Bilder
— ich bringe hier (Taf. XXXIX) den König Karl IX. in Wien vom Jahre 1561 — bis zu seinem Ende
eine augenscheinliche Aehnlichkeit mit den Halbfiguren. Was wir früher als ähnlich zwischen den
Halbfiguren und den französischen Zeichnungen anführten, das trifft auch für die Portraits des Fran-
cois Clouet zu; nur müssen wir bedenken, dass die Halbfiguren etwa gegen das Jahr 1540 entstanden
sind, ein Kinderportrait wie das vorliegende um mehr als zwanzig Jahre später geschaffen wurde. Ich
möchte mich nicht weiter bedenken, diese Bilder, wie das Harrach'sche, dem jüngeren berühmteren
Clouet, Francois Clouet, als Jugendwerke zuzuweisen.

Das so gewinnende Bild bei dem Herzoge von Meiningen (Taf. XXXIII) scheint mir doch wieder
von anderer Hand, doch von einem Mitgliede der Werkstatt. Vielleicht war die Werkstatt nicht sehr
gross. Gross aber der Einfluss des Meisters. Das Bild in Basel (Fig. 3) zeigt uns, wie ein in der Formen-
gebung ganz anders gestaltender Künstler die Typen des Halbfigurenmeisters übernimmt. Wieder ein
anderer ist der Maler der Schreiberin bei Kohlermann, ein anderer der Maler seiner Goldwägerin.
Merkwürdig beeinflusst von Jean Clouet ist auch ein Meister, von dessen Kunst wir eine Probe auf
Tafel XXXVIII geben; dieses Bild bei Herrn Adolphe Schloss in Paris, das Bild in Hamptoncourt und
das bei Herrn Miethke in Wien gehören ihm an. Aber auch die schöne Allegorie bei Kohlermann in
München ist von seiner Hand und die zweite Allegorie daselbst von seiner Werkstatt. Das durch-
sichtige weisse Fleisch mit den Mitteltönen in Rosa, eine eigene Art der Behandlung des Schmuckes
zeigen es uns völlig übereinstimmend mit dem Portrait einer Dame aus der Zeit Heinrichs II. in der
Pinakothek in München, dessen aus A.'C gebildetes Monogramm Gustav Glück ganz richtig auf An-
toine Caron gedeutet hat.2

Abgeschlossen von seiner niederländischen Heimat hat Jean Clouet die Formen seiner Jugend,
wenn auch leise gemildert, beibehalten und sie auf andere übertragen, die sie noch bis Ende des Jahr-
hunderts beibehalten, während die Genossen in der Heimat in Eintracht und im Streite lange schon
einen anderen Stil entwickelt haben.

Das Eine, glaube ich, können wir nun behaupten: der Meister der weiblichen Halbfiguren
ist Jean Clouet und seine Werke entstanden in ihrer Mehrzahl am Hofe Franz I. Wir
hätten somit den wichtigsten Maler der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts in Frankreich wieder auf-
gefunden und konnten zugleich die Werkstatt charakterisieren, in der sich der berühmte Francois
Clouet entwickelt hat, als einer von mehreren Schülern und Nachahmern seines Vaters. Ehe wir in
der Geschichte der französischen Malerei weiterschreiten, wollen wir abwarten, ob das, was hier
vorgebracht wurde, die Billigung einsichtiger Freunde findet. »Tout vient a poinct qui peult
attendre«, singen unsere Damen.

1 H. Bouchot, Les Clouets, p. 12.

2 Zeitschrift für bildende Kunst, N. F. XI, S. 18.

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