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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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List, Camillo: Wendelin Boeheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0254
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Camillo List.

So beschaffen war die traurige Lage der beiden Kinder, des älteren Karl und des jungen Wendelin,
als sich ein wackerer Mann, der Bürger und Gastwirth Josef Beinitz, dazu entschloss, den im vollsten
Sinne des Wortes armen Kindern ein zweiter Vater zu werden. Es war ein Mann, der für seinen Stand
eine ungewöhnliche Bildung besass; denn er hatte das Gymnasium absolviert und war ein trefflicher
Musiker.

Wenn auch eine Waise, so hat Boeheim im Hause seines Ziehvaters doch den holden Zauber des
Familienlebens kennen gelernt und besonders seine Ziehmutter, Juliana geb. Reichemer (f 1848), war
ihm eine zweite sorgsame Mutter geworden, von der er stets mit der grössten Liebe und Verehrung sprach.

Hier erhielt er eine schlichte aber gründliche und aufmerksame Bildung. Seine Umgebung, voll
von stummen Zeugen einer grossen Vergangenheit, die Erzählungen seiner Ziehmutter aus Neustadts
ruhmreicher Geschichte prägten unbewusst tiefe Eindrücke in seine kindliche Seele und mochten wohl
neben dem ererbten historischen Sinne dazu beigetragen haben, Boeheim zu dem zu machen, was er
wurde.

Wenn mir Boeheim von seinen Jugendjahren erzählte, so erglänzte sein Auge in Freude und
sein Mund floss über von Lob, das er seinen Zieheltern spendete.

In gleichmässiger Stille zogen die Kindesjahre vorüber, in denen er die Normalschule und die
Unterclassen des Gymnasiums absolvierte. Von ihrem Vater, der recht gut in Thon modellierte, scheinen
die Kinder auch künstlerische Veranlagung geerbt zu haben; denn beide, Karl sowohl als auch Wende-
lin, bezogen (1845) die Wiener Akademie. Während es jenem durch die Munifkenz des Fürsten
Dietrichstein ermöglicht wurde, sich in der Malerei auszubilden, widmete sich der jüngere Bruder der
Plastik.

Dass Wendelin reiche künstlerische Begabung besass, wird wohl jeder bestätigen, der Zeichnungen
Boeheims sah. Auch dass er gleich in die Antikenabtheilung und nicht zuerst in die Vorbereitungs-
schule der Akademie aufgenommen wurde, bezeugt dies.

Wenn auch die vormärzliche Akademie nicht dazu geschaffen war, durch ihr zopfiges Schulfuchsen-
thum Talente zu fördern, so hatte Boeheims Anwesenheit an derselben doch für ihn den Erfolg ge-
bracht, dass er sich in den theoretischen Fundamentalfächern, besonders in der Anatomie und in der
Perspective, ausbildete. Mehr als die Akademie dürfte wohl sein Vormund, der bekannte Kupferstecher
und Xylograph Blasius Höfel, in dessen Familie er in Wien lebte, auf ihn Einfluss genommen haben;
ebenso der auf archäologischem und kunsttopographischem Gebiete thätige Josef v. Scheiger, Männer,
die beide zu den intimsten Freunden seines Vaters zählten.

Aber auch seine Studien an der Akademie sollten bald unterbrochen werden. Es kam das Sturm-
jahr 1848, welches, wie vielen anderen jungen Existenzen, so auch Boeheim einen anderen Lebenszweck
gab. Boeheim vertauschte den Stift mit dem Säbel und trat am 20. August 1848 als Cadet in die Reihen
des alten Pionniercorps in Tulln. Kurze Zeit darauf entriss ihm der Tod seine vielgeliebte Ziehmutter.

Bis zum Jahre i852 verblieb er in Tulln, kam dann in das in Pressburg garnisonierende Pionnier-
Bataillon, in dem er den praktischen Pionnier- und Truppendienst erlernte. Am 3. April 1854 avancierte
er zum Lieutenant im Corps. Doch auch hier war seines Bleibens nicht lange; in der Krim loderte die
Kriegsflamme empor und der junge Lieutenant sah sich in den fernsten Osten des Reiches verschlagen.
Zuerst wurde er bei den Aufnahmen und den damals ausgeführten Arbeiten an den Stromschnellen im
Eisernen Thore beschäftigt, dann kam er nach Siebenbürgen, wo er durch zwei Jahre beim Strassenbau
im Oilozpasse in Verwendung stand. Ferner war er bei der Anlage von Befestigungen in Gura Humora
thätig. So hatte Boeheim bald Gelegenheit, seine theoretisch erworbenen Kenntnisse praktisch im
Dienste des Vaterlandes zu verwerthen, und dass er die gestellten Aufgaben glänzend löste, beweist der
Umstand, dass er vom Obercommando der 3. und 4. Armee im Tagesbefehle öffentlich belobt wurde.
Bei seinem Aufenthalt in diesen Gegenden hatte er sich aber den Keim einer Krankheit zugezogen,
an der er in den späteren Jahren sehr litt.

Boeheim hatte durch diese Dienstleistungen seine Verwendbarkeit in hohem Maasse bewiesen,
was seine Transferierung zum 3. Pionnier-Bataillon nach Verona zur Folge hatte, welche Stadt ja zum
 
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