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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0144
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138

Alois Riegl.

Das
Schützenstück
des

Dirk Barcntsz
vom Jahre 1564.

Das ältere darunter (Fig. 25), Nr. 57 des Rijksmuseums, zeigt dreizehn Schützen der Rotte G des
Voetboogsdoelen. Auf den ersten Blick hin erinnert es an das Bild von 1554: nicht allein in der Compo-
sition der Köpfe in einförmigen Reihen, die gegen rechts unten in Unordnung gerathen, sondern auch
in der Auffassung der mit Fleiss nach den verschiedensten Richtungen gewendeten Köpfe und Blicke
und der Andeutung der vereinigenden Mahlzeit durch ein Tischchen. War aber dort das Tischchen
blos eine schwach markierte Unterlage für eine Kanne und für das Einschreibebuch des Schriftwarts
gewesen, so ist es jetzt zwar in den Dimensionen nicht viel grösser aber klarer begrenzt und vor
Allem ein wirkliches Speisetischchen geworden, auf dem ausser einer Kanne auch verschiedene Ess-
waren, dann Teller, Messer und Servietten, endlich eine viereckige Kassette (?) Platz haben. Es ist frei-
lich kein Zweifel, dass die vierzehn Schützen weder an dem winzigen Tischchen Platz finden können,
weshalb auch rings um dasselbe nur vier Schützen — zwei sitzende und zwei vermuthlich stehend ge-
dachte — versammelt sind, noch alle vierzehn von den sichtbaren Erfrischungen eine hinreichende
Stärkung erwarten könnten. Aber es ist wenigstens mit der Speisung einiger Ernst gemacht; denn ein
sitzender Schütze links von der Mitte tranchiert eben einen Häring,1 wiewohl seine Aufmerksamkeit
nicht auf diese Action sondern nach dem Beschauer gerichtet ist, und der zweite Sitzende, der in der
Linken einen grossen Krug hält, stürzt mit der Rechten eine Deckelkanne um, so die Nagelprobe
zeigend; aber auch er blickt gleichzeitig nicht auf seine Hantierung sondern nach dem Beschauer. Es
sind also hier unmittelbar genrehafte Handlungen eingeführt, die Teunissen in seiner Mahlzeit vom
Jahre 1533 noch nicht gewagt hatte anzubringen; es ist aber zugleich deutlich gemacht, dass die be-
treffenden Figuren ihre Handlungen nicht aus genrehaftem Interesse an der Sache selbst sondern im
Interesse der Vereinheitlichung des Gruppenporträts vollziehen. Die Handlungen bleiben unvoll-
kommen, da der dieselben abschliessende Beschauer ausserhalb des Bildes bleibt. So winzig nun der
Schritt scheint, den die Entwicklung hier durch Zulassung einiger weniger und bescheidener genrehafter
Motive vollzogen hat, so entscheidend ist er, wenn wir die Entwicklung als Ganzes überblicken. Dirk
Jacobsz hatte noch im Jahre 1563 alles Genrehafte im Detail ferngehalten und die Einheit des Gruppen-
porträts noch wesentlich auf den Symbolismus aufgebaut. Mit Dirk Barentsz beginnt die Umwandlung des
symbolistischen Gruppenporträts des XVI. in das genrehafte des XVII. Jahrhunderts. Dazu gesellt sich
ein Zweites. Ueberblickt man die Doppelreihe der hinter der Tischrunde Versammelten, so bemerkt man
zunächst in ihren Händen die bekannten Symbole: Pfeil als Waffe, Häring, Weinglas und einen Zettel
mit den Worten in vino veritas als Versinnlichungen des Liebesmahles, wobei höchstens der Umstand
auffällt, dass nun die auf letzteres bezüglichen Symbole überwiegen, so dass selbst in den Figuren
ausserhalb des Tisches der vereinigende Symbolismus der Mahlzeit zum lauteren Ausdruck gebracht
erscheint. Ja sogar das uralte Symbol des Handauflegens begegnet noch einmal, rechts oben in der
Ecke; blos eines tritt auffallend zurück, sofern es nicht überhaupt fehlt: das Zeigen mit den Fingern.
Nur die zweite Figur von links in der oberen Reihe hält die Rechte derart über den Arm ihres Nachbars
hinweg, dass es den Anschein gewinnt, als ob sie auf den Pfeil, die Waffe der Gilde, in der Rechten
jenes Nachbars hinweisen wollte; und in der gleichen Weise ist die Hand des ersten Schützen rechts,
die zugleich einen Handschuh umspannt, gegen das Glas in der Hand des Nachbarn ausgestreckt;
aber das »Zeigen« mit dem Finger ist doch in beiden Fällen so wenig entschieden und nachdrücklich
ausgesprochen, dass es sich vielleicht sogar um ein blosses Handauflegen handelt. Füge ich vor-
greifend hinzu, dass in dem viel figurenreicheren Bilde des Dirk Barentsz von 1566 dieser Gestus, der
den Beschauer recht augenfällig auf irgend ein Vereinigendes (ein Symbol oder eine Charge) im Bilde
aufmerksam machen soll, kein einziges Mal mehr wiederkehrt, während er auf allen Bildern (mit ein-
ziger Ausnahme desjenigen von 1531) bis 1563 und gerade noch auf diesem letzteren des Dirk Jacbbsz
in besonders nachdrücklichem Maasse zu finden gewesen war, so ergibt sich der Schluss, dass mit dem
nunmehrigen Wegfall eines bisher unvermeidlich gewesenen Gestus zugleich ein Stück alter Auffassung

1 Bei Dirk Jacobsz in den Fünfzigerjahren, am linken Flügel seines ältesten Bildes (Fig. 21), treten Messer und Häring
zum ersten Male, aber noch unverbunden, in den Händen eines Schützen auf.
 
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