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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0149
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Das holländische Gruppenporträt.

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Fig. 26. Schützenstück des Dirk Barentsz vom Jahre 1566.
Amsterdam, Rijksmuseum.

lassen gar keine andere Deutung zu, als dass der eine Schütze seinen Nachbar auf irgend etwas auf-
merksam machen will, welchem Vorhaben entsprechend er ihm auch den Kopf zuwendet. Schon diese
letztere Wendung ist nicht so entschieden und unzweideutig, als sie der Meister, wenn er gewollt hätte,
gewiss hätte darstellen können; das Entscheidende aber ist, dass der also aufmerksam Gemachte in
keiner Weise darauf reagiert sondern seine Aufmerksamkeit auf einen ganz wo anders gelegenen Punkt
hin concentriert. Es ist also ein bis dahin unerhörter Wechselverkehr in das Gruppenporträt gebracht
aber er ist einseitig geblieben und, indem ihm also der genremässige Abschluss fehlt, bleibt ihm die
symbolische Bedeutung. Wir sehen blos eine Ursache aber keine Wirkung: es ist in absoluter Weise
gezeigt, dass die Schützen miteinander verkehren, aber es ist kein specieller, in Raum und Zeit be-
grenzter Fall dieser Art vorgeführt.

Das zweite noch drastischere Vorkommen eines solchen einseitigen Verkehres findet man in dem
dritten Schützen von links in der von unten aufsteigenden Reihe. Er wendet sich lebhaft gegen seine
Nachbarn heraus, streckt dabei sein Trinkglas weit von sich vor und ladet offenbar Einen ein, mit ihm
anzustossen. Ueber die Bedeutung dieser Action selbst kann gar kein Zweifel aufkommen; aber schon die
Frage, welchem von den beiden Nächstsitzenden die Einladung gilt, ist nicht sicher zu beantworten, und
• da wir das Gleiche schon vorhin beobachten konnten, so werden wir in unserer Ueberzeugung bestär kt,
dass der Meister es auf diese Unklarheit absichtlich hat ankommen lassen. Das Entscheidende ist aber
wiederum, dass keiner von den Beiden auf die Einladung im Geringsten reagiert: der unmittelbare
Nachbar schneidet ruhig sein Brot und der Flügelmann schaut gleichmüthig vor sich hin.

Auf die gleiche Weise wird man endlich die zwei Figuren zu beurtheilen haben, die ihre Auf-
merksamkeit der Schützenrunde selbst zuzuwenden scheinen, ohne dass aber das specielle Ziel dieser
psychischen Function klar erkennbar wäre: so den stehenden Schützen rechts von der Mitte und den
zweiten von links oben in der Ecke. Fasst man aber das Ergebnis dieser Betrachtung zusammen, so
wird sich sagen lassen: in der genrehaften Specialisierung der symbolischen Handlungen ist Keiner
bisher so weit gegangen als Dirk Barentsz und es begegnen bei ihm Einzelhandlungen von so momen-
tanem Charakter, dass sie wie von einem betrachtenden Subject erhascht aussehen; da ihnen aber die
Ergänzung durch die Folgewirkung und damit die volle Abrundung zu einer geschlossenen Handlung
fehlt, so bleibt selbst in diesen subjectivsten Ausdrucksmitteln die Grundauffassung immer noch die
symbolistische. Das Merkwürdige ist nun, dass trotz des Mangels eines wirklichen Wechselverkehres
die ganze Scene doch einen so überzeugend subjeetiv-wahren Eindruck macht, dass man das Absolute,
Typische, Leblose darin auf den ersten Blick ganz übersieht. Hervorgebracht ist aber dieses Wunder
durch die durchgängige psychische Belebung der Figuren mit Aufmerksamkeit, um deren Ziel wir zu-

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