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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0157
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Das holländische Gruppenporträt.

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Fig. 29. Schützenstück des Cornelis Ketel vom Jahre 1588.
Amsterdam, Rijksmuseum.

An den einzelnen Köpfen fällt auf, dass die Axe der meisten nicht vertical sondern etwas diagonal
verläuft. Solche Neigungen des Kopfes pflegt man auf Rechnung des Gefühls zu setzen, das die vom
Hillen dictierte senkrechte Kopfhaltung bricht. Der Tendenz, im Charakter der Porträtköpfe Auf-
merksamkeit mit Gefühl zu verbinden, sind wir schon bei Dirk Jacobsz begegnet, der zwar diese Auf-
gabe mit tieferen physiognomischen Mitteln zu lösen suchte aber doch auch schon manchen seiner
Köpfe etwas geneigt erscheinen Hess, und das Gleiche konnten wir bei Dirk Barentsz wahrnehmen. Cor-
nelis Ketel hat nun das Gefühlselement wesentlich zu steigern gesucht, und zwar nicht durch intimere
Beseelung der Züge sondern durch das äussere physische Mittel der Kopfneigung. Auch die Biegungen
seiner Körper im Allgemeinen, die wir noch vom Standpunkte der Composition aus zu erörtern haben
Verden, wirken in der gedachten Richtung der Auffassung, die im letzten Grunde nichts Anderes ist
als ein Reflex des barocken Conflictes zwischen Willen und Gefühl in der italienischen Sculptur und
Malerei seit Michelangelo.

An der Composition ist vor Allem zu beachten, dass wir hier zum ersten Male in der Entwick-
lung des Gruppenporträts nicht blos mit einem Abschlüsse nach hinten sondern auch mit einem solchen
nach unten zu rechnen haben. Es empfiehlt sich darum, ausnahmsweise die Umgebung vor den
Figuren ins Auge zu fassen. Die Scene spielt im Freien; denn im Hintergrunde dehnt sich die Facade
eines Palastes, in dem man wohl kaum das Doelenhaus zu suchen haben wird. Vielmehr trägt Alles,
was von dem Hause sichtbar ist, den ausgesprochenen Stempel bewusster Erfindung im Sinne der
Ketel sehen Kunstrichtung. Ein Stück ebener Front liegt weit zurück; dagegen springen an beiden
Enden gewaltige Risalite vor, deren Vorderfronten von den Schmalseiten des Rahmens durchschnitten
werden. Dem linksseitigen Risalit sind obendrein zwei Säulen vorgesetzt und überhaupt alle Wand-
flächen mit Ausladungen und Verkröpfungen nach der Höhe und Breite bedeckt. Die Kunstabsicht
war hiebei offenbar darauf gerichtet, möglichst viel tastbare, .raumfüllende, aus der Tiefe heraus be-
wegte Körperlichkeit zur Schau zu bringen.1 Der Pflasterboden, auf dem die Schützen stehen, ist aus
Fliesen zusammengefügt, deren Schachbrettmuster in zweierlei Blau kraft der perspectivischen Ver-

1 In einem anderen Schützenstücke Ketels, von dem uns, wie es scheint, leider nur der Bericht des van Mander er-
halten geblieben ist (mit Capitän Herman Rodenborgh Beths und dem Meister in Selbstbildnis), waren die Figuren in einer
Galerie mit reliefgeschnitzten Hermen stehend dargestellt. Man ersieht hieraus, welche Bedeutung für die Gesammtwirkung
Ketel der räumlichen Umgebung beigemessen hat.

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