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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Premerstein, Anton von: Anicia Iuliana im Wiener Dioskorides-Kodex
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0118
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I 12

Anton von Premerstein.

einem sinngemäßen Vorschlage, durch welchen mich Herr Prof. S. Melder zu Dank verpflichtet hat,
wäre [itpoß]cevc<x oder etwas Ahnliches zu ergänzen; wahrscheinlich ist, da die Lücke mindestens 5 Buch-
staben faf3t, [^psr/.ßJavTa, beziehungsweise mit Synizese [^pi'jy.ß]avTa.1

Wenig Gutes Hißt sich von der metrischen Form des Gedichtchens sagen; es ist vielmehr ein
Stümperwerk ersten Ranges. Eine eigentliche Analyse des Metrums ist allerdings durch die Gering-
fügigkeit des Materiales ausgeschlossen. Beabsichtigt sind offenbar, wie namentlich die korrekter ge-
bauten Verse 5, 6, 8 zeigen, quantitierende jambische Dimeter. Doch macht sich daneben in Versen
wie 3, 4, 8, die zum Teil grobe Verstöße gegen die Quantität zeigen, unverkennbar eine Hinneigung
zum akzentuierenden Prinzip geltend. Das Schema, welches dem «Dichter» vorschwebte, scheint fol-
gendes gewesen zu sein :2

In der ersten Dipodie huldigt unser Verskünstler augenscheinlich der Verkehrtheit, daß er zwar den
ersten Fuß zumeist (außer Z. 6, 7) mit einer Kürze anheben läßt, dagegen in der Senkung des zweiten
Fußes, die nach der Regel kurz erhalten werden müßte, ausnahmslos eine Länge setzt. Es ist dabei
meines Erachtens eher eine falsche Grundauffassung des Metrums als willkürliche Verkürzung langer
Silben anzunehmen. Gegen die zweite Ansicht spricht die Verwendung von Positionslängen (Z. 1, 7 )
und namentlich von solchen Silben an dieser Stelle, die schon äußerlich als lang erkennbar sind,
besonders Z. 4 -cat, Z. 5 rn Z. 6 -uv. Der ersten ist namentlich Z. 3 ü^vouciv y.ai günstig, wo in der
zweiten Senkung mit einem den späteren byzantinischen Jambographen sehr geläufigen Kunstgriffe
durch Anhängung des paragogischen v eine Positionslänge geschaffen wurde. In Z. 4 wurde das äußer-
lich nicht als Kürze erkennbare vap in der zweiten Hebung als Länge gebraucht.

Die zweite Dipodie ist in ein paar Fällen korrekt ausgefallen (Z. 5, 6, 8); sie zeigt hier in der
zweiten Senkung die vorgeschriebene Kürze. In anderen Versen werden indessen an dieser Stelle
lange Silben, die als solche nicht schon äußerlich zu erkennen waren, unbedenklich als Kürzen ver-
wendet, wie dies die von J. Hilberg als «Epigonen» und «Stümper» bezeichneten späteren Jamben-
dichter tun, so Z. 2 T.izy.'.z;3 Z. 7 fflipas (mit Itazismus statt ^Y£tPas)- Noch schlimmer ist es, wenn der
Poet, wohl schon unter der Einwirkung starken Wortakzentes, in Z. 4 die Positionslänge (?:ac7av -pjv)
und in Z. 3 einen Diphthong (SoEäusucv) zu vernachlässigen wagt. Zu einer Zeit wie das beginnende
VI. Jahrhundert, wo die zünftigen Dichterschulen die aus der Antike überkommenen Kunstformen
mit großer Sicherheit und pedantischer Korrektheit handhabten, sind solche Verstöße, die wohl nur
aus der Feder unbeholfener Gelegenheitsdichter flössen, eine Ausnahme. In der Folge, etwa seit dem
VIII. Jahrhundert, waren, wie namentlich Hilberg in mehreren verdienstvollen Untersuchungen dar-
getan hat, Freiheiten dieser Art in jambischer Dichtung ganz gewöhnlich geworden.4

Das Akrostich liefert den bisher noch ausstehenden Beweis für die Identität der Iuliana des
Bildes mit der Tochter des Olybrius. In V. 6 wird Iuliana als «Sproß der Anicier» ('Avwwjwv . . . fi'/sc)
gefeiert. Den «Tempel des Herrn», den sie nach dem Akrostich zu Honoratae, einem sonst wenig be-
kannten Vorort Konstantinopels am jenseitigen Ufer der Propontis,5 erbaute, erwähnt auch die

1 So heißt es auch in dem Gedicht auf die Polyeuktos-Kirche (Anthol. Pal. I, 10; oben, S. 109, Anm. 12), V. 51 f.:
(vr,bv), 010; (iev jcpoßißijxs ßa0'jpp(£oi3i Os[aeOXo:s, vspÖEV ävaOpcuaxcov xaX aiöspo; aaxpoc oicümov.

2 In V. 7 ist züp!ou zweisilbig zu lesen.

3 Beispiele für die Messung icfoiv, %ci<yr)c, schon bei Gregor von Nazianz; vgl. L. Sternbach, Menandrea, in den «Roz-
prawy» der Krakauer Akademie, Philol. Abt. XV (1891), S. 392.

4 Vgl. K. Krumbacher, Geschichte der byzant. Literatur (2. Aufl.), S. 648 f., 6;2.

5 Ober die Lage: Theophanes continuatus VI, 5 (p. 472 ed. Bonn.; Migne, Patr. gr. CIX, c. 492 A) von Kaiser Romanos II
(959—9^3): et; u.Exaaxaai[Aov ei; 'Avcupstxct; p.£tEßrj y.x/.uat Orjpsüaas . . . Jipb; rä ßaatXsia xrj hxipx ävxEJXEpaasv. Nikephoros
Bryennios histor. I, 4 (p. 20 ed. Bonn.; Migne, Patr. gr. CXXVII, c. 44 B) zum Jahre 1058: (Isaak Komnenos) xbv xrj; IIpo-
jxovxioo; otajispäaa; JcopOcj.bv äv xof; xzpi xb 'Ovopaxou JtoX£v_viov jtpootaxEioi; 7;üX!£sxo. Dazu Leo Diaconus hist. IV, 7 (p. 65 ed.
Bonn.; Migne, Patr. gr. CXVII, c. 753) zum Jahre 968: 7rpoaoxEiov ... 'Avapixstc xaXoj[j.Evov, C. Ducange, Constantinopolis
christiana, p. 184, n. XIV; A. G. Paspatis in: '0 Iv Kwvsxavxivo-JTibXEt 'EXXrjvixb; 91X0X071x05 auXXoyo; XII (1877/8), p. 51 f.;
G. Schlumberger, Nicephore Phoas, p. 255; A. Mordtmann, Esquisse topogr. de Constantinople (aus: Revue de l'art chretien
 
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