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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Premerstein, Anton von: Anicia Iuliana im Wiener Dioskorides-Kodex
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0120
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H4

Anton von Premerstein.

triziates,1 der in der konstantinischen Ordnung kein vererblicher Stand, sondern eine auf Lebensdauer
übertragene Auszeichnung war, gelangten Frauen in der Regel durch die Verleihung an ihre Gatten;2
doch war auch persönliche Ernennung zur patricia möglich.3 Letzteres trifft allem Anschein nach bei
Iuliana zu. Ihr Gatte Areobindus war, wie aus der Aufzählung der Würden auf seinen Konsular-
diptycben4 unzweifelhaft hervorgeht, im Jahre 506 nicht Patricius und scheint diese Würde bis zum
Jahre 512, wo er durch seine Proklamation zum Kaiser wohl auf die Dauer bei Hofe kompromittiert
wurde, noch nicht erhalten zu haben.5 Dagegen war die Patrizierwürde in der hochadeligen Familie
der Anicier, wie auch in anderen angesehenen Häusern,6 wenn auch nicht rechtlich, so doch tatsächlich
vererblich, indem sie einer Generation nach der anderen zuerkannt wurde. Als einziger Sproß dieses
erlauchten Hauses und als Tochter eines weströmischen Kaisers wird Iuliana, die schon im Jahre 479
einem Könige zur Braut bestimmt war,7 vielleicht schon in jungen Jahren persönlich durch Verleihung
des Patriziates ausgezeichnet worden sein.

Allerdings war Iulianas Gemahl Areobindus, nachdem er bereits Consul honorarius gewesen, im
Jahre 506 Consul Ordinarius; Iuliana hätte demnach, da damals die Gattinnen der amtierenden8 und
der gewesenen9 Konsuln an den Ehren ihrer Männer teilnahmen, auch auf die Ehrenvorrechte und

der Übersetzer Anastasius (oben, S. 113, Anm. 2) wohl richtig mit femina illustrissima wiedergibt. Gregor von Tours mirac. I, 102
(oben, S. 109) nennt Iuliana bloß quaedam urbis illius (Constantinopolis) matrona. — Mit Unrecht übersetzt E. A. Stückelberg,
Der Constantinische Patriciat (1891), S. 47, Anm. 4, sm^avsTtctn; ««tp«(a mit nobilissima patricia: «ersteren Titel führt sie als
Kaisertochter, letzteren aber durch ihren geadelten Gemahl Areobindus». Wie Stückelberg, a. a. O., S. 47 f., selbst dargetan
hat, war der Nobilissimat, wie er noch im IV. Jahrhundert bestand und den Angehörigen der engeren kaiserlichen Familie
vorbehalten war, als höhere Rangstufe mit dem niedrigeren Patriziat nicht vereinbar. Überdies stand der Titel nobilissimus
zur Zeit Iulianas und in der Folge wahrscheinlich gar nicht mehr im Gebrauche; vgl. Hirschfeld, a. a. O., S. 604, Anm. I. Viel-
mehr ist imtpmrj; oder rapicptwj;, wie Hirschfeld, S. 595, Anm. 1, zeigt, die korrekte Übertragung des Titels inhtstris, welcher
damals unter anderen nachweislich den Patriziern (Hirschfeld, S. 599; vgl. S. 594, Anm. 8) und mithin auch den Frauen
patrizischen Ranges zukam (zu den feminae inlustres: Hirschfeld, S. 598, Anm. 1). Der Gebrauch des Superlativs (im^mzzTiivr,
icatpixia, Tisflyav-sTxrrj = illustrissima femina bei Anastasius) gerade beim Patriziat kann umsoweniger auffallen, als auch sonst
für ihn wie für die übrigen höchsten Chargen unter den Illustres besondere auszeichnende Titulaturen (wie magnificus, excellen-
tissimus, gloriosissimus) in Aufnahme kamen (L. Traube, Index zu Cassiodorus ed. Mommsen, p. 566; Hirschfeld, a. a. O., S. G02 f.).

1 Über den konstantinischen Patriziat vgl. die noch immer brauchbaren Artikel von W. Rein in Ersch und Grubers
Encyklopädie, III. Sektion, Bd. XIII, S. 350 ff., und in Paulys Real-Encyklopädie V, S. 1234 f.; Mommsen, Neues Archiv der
Ges. für ältere deutsche Geschichtskunde XIV (1889), S. 483 f.; das leider sehr lückenhafte Buch von E. A. Stückelberg (s. oben,
S. Il3 f., Anm. 4); O. Hirschfeld, a. a. O., S. 593 f.

2 Stückelberg, S. 64. Vgl. besonders Apollinaris Sidonius epist. V, 16, 3 (an seine Gattin Papianilla; vom Jahre 474/75 '■
novi enim probe ne meo quidem te, quem ex lege partieipas, sie honore (Patriziat) laetatam, quia, licet sis uxor bona,
soror optima es.

3 So bei Theodora, Justinians nachmaliger Gattin: Prokopios hist. arc. 9; dazu Mommsen, a. a. O., S. 483, Anm. 2.
Mommsen zieht hierher auch die patricia Italica, Gemahlin des Venantius bei Gregor epist. I, 33 (vom Jahre 591); vgl.
die Anm. der Herausgeber in den Monum. Germ., Epist. I, p. 45. Aber Venantius könnte recht wohl den Patriziat selbst
besessen und erst durch seinen Eintritt in den Mönchsstand (vgl. Stückelberg, S. 49 mit Anm. 3) verloren haben, während
seine Frau patricia blieb. Nachher, als er in die Welt zurückkehrte, heißt er wieder patricius; vgl. den Index der Monum.
Germ., Epist. II, p. 512 f. (Venantius 4). — Schon aus früherer Zeit ist Verleihung der Rangzeichen einer consularis femina {con-
sularis coniugii ornamenta) an vornehme Frauen bezeugt: Vita Elagabali 4, 3, und dazu Hirschfeld, a. a. O., S. 583 mit Anm. 3.

4 Ihre Inschrift (H. Dessau, Inscriptiones lat. selectae I, n. l3o3) lautet: Fl(avius) Areob(indus) Dagal(aifus) Areo-
bindus (zu dieser Namensform jetzt Mommsen, Hermes XXXVII, S. 455) v(ir) i(nlustris) jj ex c(omite) sac(ri) sta(buli) et
m(agister) m(ilitum) p(er) Or(ientem), ex c(onsule), c(onsul) or(dinarius). Vgl. unten, S. 117, Anm. 6.

5 In Chron. pasch, wird Iuliana ausdrücklich als ranpix!« bezeichnet, während bei Areobindus ein solcher Beisatz
fehlt; bei Kyrillos heißt Iuliana iwcpixfa, Anastasia dagegen rj toj mxxpc/.lou . . . öixo'f'jyo;. Vgl. oben, S. ii3, Anm. 4.

6 Vgl. den patriciae familiae vir: Corp. inscr. Latin. VI, 1725 = Dessau n. 1284; Sidonius epist. V, 16, 4: utram-
que familiam nostram praefectoriam naneti etiam patriciam divino favore reddidimus. Dazu Mommsen, Archiv, a. a. O.,
S. 484, Anm. 3; Hirschfeld, S. 593, Anm. 4 (vgl. S. 594, Anm. 8).

7 Oben, S. 108.

8 Vgl. Justinians Novelle 105, 2 pr. Insbesondere hatte die Gattin (in gewissen Fällen auch die Mutter) des fungie-
renden Konsuls Anrecht auf eine auszeichnende Tracht, welche W. Meyer, a. a. O. (unten, S. 117, Anm. 4), S. 22 (vgl. S. 27),
an der ältlichen Frau des Philoxenus-Diploms (J. 525; gut abgebildet bei E. Molinier, Histoire generale des arts appliques I,
p. 3o, n. 29; Ch. Diehl, Justinien et la civtlisation byzantine, p. 456, flg. 152) zu erkennen glaubt (s. g. Lorum und besondere
Kopfbedeckung; vgl. unten, S. 119, Anm. 1), und auf einen Ehrensitz (Nov. 105, a. a. O.: Etipoc o'z oj xaOeSeftai).

9 Zum Titel consularis femina (urarcur)) vgl. Mommsen, Staatsrecht III, S. 468, Anm. 3; B. Kübler in Pauly-Wissowas Real-
Encyklopädie IV, Sp. 1138; Hirschfeld, a. a. 0., S. 583 mit Anm. 3. Über die consularis coniugii ornamenta oben S. 114, Anm. 3.
 
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