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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Premerstein, Anton von: Anicia Iuliana im Wiener Dioskorides-Kodex
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0129
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Anicia Iuliana im Wiener Dioskorides-Kodex.

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wiederkehrt, und Verständigkeit (ipivv^t;),1 welche feinsinnige Vorliebe für die Literatur bekundet,
sind ihr vorzüglich eigen. Vor ihrem prunkvollen Throne stehen Meßgefäße, wohl um anzudeuten,
daß sie dem Volke von Konstantinopel reiche Getreidespenden zuwendete. Ihr zu Füßen liegt ehr-
furchtsvoll adorierend die «Dankbarkeit der Künste» (eJ>%apiax(a texvfiSv). Der Komplex von -syva:,
welche Iuliana als ^lAÖy.Tis-sc,2 wie eine der Beischriften sagt, d. h. durch ihr Mäcenatentum zum Danke
verpflichtet hat, umfaßt einerseits die zur Herstellung und Ausschmückung von Bauten dienenden
Tätigkeiten des Baugewerbes, der Malerei und Bildhauerei, andererseits die hier besonders in den Vor-
dergrund gerückte Miniaturmalerei. Die erste Gruppe bringen uns die acht kleinen Bildchen der
Peripherie mit ihrer Schar arbeitender Eroten zur Anschauung; dabei schwebt dem Miniaturisten
sicherlich eine bestimmte große Unternehmung der Iuliana vor, der Bau der Marienkirche zu Honoratae,
welchen die Umschrift des Mittelbildes feiert. Während diese -r/vstc nur einen Rahmen abgeben, ist
der Vertreter der Miniaturmalerei in das Mittelbild selbst und in unmittelbare Beziehung zur thronenden
Hauptfigur gestellt. Es ist auch hier wieder ein Flügelknabe, der personifizierte «Wunsch der Kunst-
gönnerin» (r.oQoz oiXo'/.Tta-iO'j), der ihr einen aufgeschlagenen Kodex mit einem Pflanzenbilde — ohne
Zweifel die uns vorliegende Dioskorides-Handschrift — entgegenhält; die Beischrift zeigt, daß das
kostbare Buch auf Bestellung der Iuliana gemalt und geschrieben wurde. Dargestellt ist nicht der Akt
der Überreichung, in dessen zahlreichen mittelalterlichen Darstellungen der Empfänger des Buches
regelmäßig den Gestus des Ergreifens macht; Iuliana weist vielmehr, ohne selbst den Blick auf den
Kodex zu richten, mit einer bezeichnenden Handgeberde voll stolzer Befriedigung, die zur Bewun-
derung aufzufordern scheint, auf dieses jüngste Werk der von ihr beschützten Künste hin.3 So ordnet
sich auch dieses Motiv, so sehr es im Vergleiche zu den übrigen in den Vordergrund tritt, als ein neuer
titulus honorum dem Hauptgedanken des Bildes, der Verherrlichung Iulianas als Patrizierin und Kunst-
mäcenatin, unter.

Der Zeitpunkt der Vollendung des Dioskorides-Kodex, an dem Maler und Schreiber jeden-
falls länger, vielleicht Jahre hindurch, beschäftigt waren, läßt sich jetzt ziemlich bestimmt ermitteln.
Zum Jahre 512 bezeichnet die Chronik des Theophanes (oben, S. n3) die Patrizierin Iuliana, offen-
bar um ihren Einfluß in kirchlichen Dingen näher zu begründen, bloß als «die Stifterin der Marien-
kirche von Honoratae». In gleicher Weise erwähnt das Akrostich des Iuliana-Bildes nur den Kirchen-
bau in der Vorstadt Honoratae, welche «dem ganzen Erdkreise die Großherzigkeit der Anicier ver-
kündet». Viel überschwänglicher äußert sich das Gedicht der Anthologie (I, 10) auf die im Jahre
527/28 beendete Erneuerung der Polyeuktos-Kirche über die Bautätigkeit der Iuliana. Es gibt keinen
Ort, den sie nicht durch glänzende Gotteshäuser geehrt hätte; die Bewohner aller Länder be-
wundern ihre kirchlichen Bauwerke, deren unermeßliche Zahl nicht einmal Iuliana selbst angeben
könnte; «der ganze Erdkreis, die ganze Stadt (Konstantinopel) ruft es laut, daß sie ihre Erzeuger durch
Werke, welche die ihrigen überbieten, noch berühmter macht» (V. 20 f.). Diese Gegenüberstellung
läßt, soviel man auch auf die Rechnung panegyrischer Übertreibung setzen mag, doch unschwer er-
kennen, daß der Bau von Honoratae (vor Ende 512) die lange Reihe der großen Unternehmungen
Iulianas eröffnete und daß zwischen ihm und dem Polyeuktos-Bau und zwischen dem Akrostich und
dem Gedichte der Anthologie annähernd der gleiche zeitliche Abstand liegt, den wir uns durch alle
die zahlreichen Kirchengründungen Iulianas in und außerhalb der Hauptstadt — darunter auch die Re-

1 Die tppo'vr,ai; der Iuliana rühmt auch Anthol. Pal. I, 10 (oben, S. 109), V. 48 (aoyi^v rcapsXasaEv äaoojiivo'j SaXap.üvo;);
eines der Epigramme auf die erneuerte Euphemia-Kirche (oben, S. 109), Anthol. Palat. I, 17, 3 f.: zuSo; 'louXiavrJs jcivuto-
9povo;, 5) yipvt 'Pywv ctp^svovtov vi/.Tjas voijp.ai« Ttävao^oc tftunii.

2 IldOo; tt;; cpiXoxxiTto'j, beigeschrieben dem Flügelknaben, der den Kodex emporhält. Das Epithet cpiXoV.Tiairo; geht
demnach hier nicht bloß auf bauliche Gründungen, sondern muß im weiteren Sinne gefaßt werden.

3 Anders R. Beer, a. a. 0. (oben, S. 105, Anm. 1), S. 240: «Sie (die ,Danksagung der Künste') wagt es nicht, das im
Auftrage der Prinzessin geschriebene Buch zu überreichen — damit ist . . . ein geflügelter Genius betraut, der . . . das ,Pothos
tes philoktistou' (das von der baulustigen Herrin Gewünschte) in den Händen trägt». Die Beischrift II0O0; 1% 9. bezieht
sich, entsprechend den übrigen, auf den Flügelknaben selbst, nicht auf das Buch in seinen Händen. Eine engere Beziehung
zwischen der Eucharistia und dem Pothos vermag ich nicht zu erkennen.
 
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