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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0296
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Max Dvorak.

nordfranzösischen und flandrischen Provinzen geschaffen wurden, und zwar in einem Ausmaße,
welches wir uns nach allen erhaltenen archivalischen Nachrichten kaum groß genug vorstellen können.
Es sind das Werke der textilen Kunst. Nicht nur alle kostbareren Kleiderstoffe kamen in ganz Mittel-
europa aus Flandern sondern auch alle Tapisserien. Man hätte von der Entwicklung der römischen
Malerei wohl nie eine auch nur beiläufig richtige Vorstellung erhalten können, wenn sich nicht die

pompejanischen Wandmalereien er-
halten hätten. Dieselbe Rolle wie in
der Antike oder im Trecento und in
der Renaissance in Italien die Wand-
gemälde spielen im Mittelalter nörd-
lich der Alpen Tapisserien, mit wel-
chen bis zum XV. Jahrhundert alle
prunkvollen Räume fast ausschließ-
lich geschmückt wurden. Wie karg
sind die Freskenverzeichnisse Ghi-
bertis oder Vasaris gegen die nicht
endenden Aufzählungen von geweb-
ten Bildern in französischen Kunst-
inventaren des XIV. und XV. Jahr-
hunderts. Man kann nicht dagegen
einwenden, daß es Fabrikserzeug-
nisse gewesen sind; denn es wird
durch viele dokumentarische Nach-
richten bestätigt, daß die Autoren
der Zeichnungen für die figuralen
Textilwerke nicht die Weber selbst
sondern Maler gewesen sind, als
deren Hauptbeschäftigung uns die
Verfertigung solcher Vorzeichnun-
gen in den Rechnungen und Inven-
taren erscheint. Das erhaltene Mate-
rial beweist auch, daß die textilen
Werke vollkommen auf der künstle-
rischen Höhe ihrer Entstehungszeit
gestanden sind und eine für die Ge-
schichte der Malerei nicht minder
wichtige Serie von Kunsterzeug-
nissen bilden als die Miniaturen und
Fig. 50. Ein heil. Mönch. Glasmalereien im XII. und XIII., als

Stickerei von einem Pluviale im Wiener Hofmuseum. die italienischen Wandgemälde im

XIV. oder als Tafelbilder und Holz-
schnitte und Stiche im XV. Jahrhundert. Während jedoch die letztgenannten Kunsterzeugnisse mit
Sorgfalt gesammelt, veröffentlicht und durchforscht werden, kümmert sich um die Denkmäler der spät-
mittelalterlichen textilen Malerei nur manchmal ein Amateur, obwohl sich davon immerhin soviel er-
halten hat, daß es einen Korpus füllen würde, und obwohl diese Denkmäler von Tag zu Tag mehr
zugrunde gehen.

Es ist merkwürdig, daß auch die Geschichte dieses Kunstzweiges denselben Verlauf nimmt wie
die geschilderte allgemeine Entwicklung. Um die Mitte des XIV. Jahrhunderts waren die bedeu-
tendsten und zahlreichsten Webereien in Paris, später wird die Fabrikation immer mehr nach dem
 
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