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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0311
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Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck.

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harte und peinliche Malweise spricht dafür, daß wir die Entstehung des Bildes jedenfalls nicht gar zu
spät nach der Originalerfindung ansetzen dürfen. Trotz der vielen mittelalterlichen Züge, welche das
Bildnis aufweist, ist es doch mit den Porträtdarstellungen des Trecento kaum mehr zu vergleichen.
Wie hätte man es sonst in das XVI. Jahrhundert datieren können? Es ist natürlich schwer zu beurteilen,
wie weit in dem Porträt der Porträtierte getroffen wurde; doch darauf kommt es nicht an. Wie wir bei
den Bildnissen der Trecentomale-
rei auf den ersten Blick sehen, daß
sie ihre Helden nicht nur mit den
Attributen sondern auch in der Ge-
stalt einer abstrakten und allge-
mein gültigen Schablone wieder-
geben, so kann man bei unserem
Prinzenporträt keine Minute zwei-
feln, daß es dem Maler gelungen
ist, einen Menschen so darzustellen,
daß man ihn nicht mit anderen
verwechseln kann, und dies nicht
nur durch Hervorhebung bestimm-
ter Kennzeichen sondern durch
eine treue Wiedergabe seiner gan-
zen Erscheinung. Man erkennt an
diesem Porträt in einer jeden Zwei-
fel ausschließenden Weise ebenso
die stoffliche Beschaffenheit und
die Farben der Tischdecke, des
Kleides, des Pelzwerkes als in
lückenloser Weise eine individuelle
Beschaffenheit des Kopfes, der
Hände. Nicht einzelne Züge wie
bei Beauneveu sondern der ganze
Kopf, das ganze Bildnis erscheint
als eine treue und unmittelbare
Naturbeobachtung, so treu und un-
mittelbar beobachtet als die Stief-
mütterchen, welche den Blattrand
des Livre d'heures von Chantilly,
oder die Nelken, die den Rahmen
von Gentiles Anbetung der heil,
drei Könige schmücken. Gewiß wollten schon die ersten Maler des gotischen Stiles nicht'minder das
alles darstellen; doch vom Wollen zum Können ist ein langer Weg, und daß nun am Ende der goti-
schen Malerei von dem alten Stile nur das allgemeine Arrangement bleibt und alles übrige eine Beob-
achtung des Malers zu sein scheint, das ist das Ergebnis der ganzen Entwicklung der gotischen Kunst,
welche schließlich ihre alten Typenformulare so überflüssig machte als die psychologische Erfahrung
die alten Charakterschemen. Doch auch die mittelalterliche Anordnung verschwindet bei einem ande-
ren Porträt, welches gleichzeitig wie das soeben besprochene oder wenige Jahre später entstanden sein
dürfte. Es ist dies ein in mehreren Exemplaren erhaltenes Bildnis des unglücklichen Jean Sans Peur.1

Fig. 56. Unbekannter Meister, Bildnis des Herzogs Jean Sans Peur.
Antwerpen, königl. Museum.

1 Dieses Bildnis ist durch eine noch zu besprechende Miniatur beglaubigt. Daß das Original nicht von Jan van Eyck
war, wie manchmal betont wurde, braucht nicht erst bewiesen zu werden.

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