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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0313
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Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck.

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gab, die Natur zu befragen, sei es deshalb, weil es sich um Dinge handelte, für die man keine kon-
ventionellen Typen besaß, oder um Dinge, die zur Naturbeobachtung eine besondere Veranlassung
boten, wogegen man an alten und traditionellen Kompositionen noch ein Fortleben der mittelalter-
lichen Schablonen beobachten kann. Aus der Rezeption der spätantiken Auffassung des malerischen
Problems blieb aber, wie wir hörten, als die wichtigste Neuerung die Forderung zurück, das Bild als
einheitlichen Naturaus-
schnitt zu gestalten,
es als das Porträt eines
Raumausschnittes zu
bilden, und so ist es be-
greiflich,daß man bald,
nachdem man zu die-
ser Auffassung wieder
gelangt war, versuchte,
das neue naturalisti-
sche Prinzip und das
ihm zugrunde lie-
gende malerische Kön-
nen nicht nur für die
Darstellung bestimm-
ter Gegenstände zu
verwerten sondern
auf das ganze Bild
auszudehnen. Das
geschah in zweifacher
Beziehung, indem man
entweder die einzel-
nen Teile der alten
Kompositionsschemen
als treue Naturstudien
gestaltete oderauch die
ganze Komposition,
den ganzen Raumaus-
schnitt treuer nach der
Natur zu malen sich
bemühte. Beides kann
man in dem Gebet-
buche von Chantilly

beobachten. Man werfe einen Blick auf die Winterlandschaft, in der einer der Brüder von Limburg das
Landleben im Februar dargestellt hat (Fig. 58). Gehört sie nicht zu den köstlichsten, frischesten und
lebendigsten Naturschilderungen, die je gemalt wurden? Welch ein WTagnis war es, eine solche schnee-
bedeckte Landschaft zu malen, und wie ist es dem Illuminator gelungen. Wie scharf wußte er eine
winterliche Szenerie zu beobachten, wie trefflich die weiße Schneedecke mit den sie durchquerenden
Spuren, das eingeschneite Dorf, die Luftstimmung eines Wintertages zu malen. In den besten
Winterlandschaften Breughels finden wir es kaum besser und mehr kann man wohl schwerlich einer
ähnlichen Schilderung nachrühmen. Und doch liegt dieser gemalten Winterpoesie noch das spät-
trecenteske Schema einer landschaftlichen Darstellung zugrunde, dasselbe Schema, welches wir z. B.
auch bei der Kavalkade der heil, drei Könige und bei unzähligen anderen gleichzeitigen Darstellungen
finden und welches wie in unseren Wintermärchen oft fast ganz unter der Hülle von Naturbeobach-
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Fig. 58. Werkstatt der Brüder von Limburg, Kalenderbild.
Miniatur aus dem Gebetbuche des Herzogs von Berry zu Chantilly.
 
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