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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0320
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Max Dvofäk.

Kunst jener Meister, die diese Werke am Haager Hofe geschaffen haben, mit der älteren franzosischen
Malerei.

Rufen wir uns nun aber jene Bilder in Erinnerung, die wir als die ältesten Denkmäler der Kunst
Jans bestimmt haben. Gibt es zwischen den Turiner Miniaturen und den Tafeln in Petersburg und Berlin
oder zwischen dem Kopenhagener Porträt und den Bildnissen Jans noch eine Lücke in bezug auf maleri-
sche Probleme oder Stil, die nicht durch das Talent eines großen Künstlers ausgefüllt werden könnte.'
Die Tatsache, daß man jene Miniaturen dem großen vermeintlichen Begründer des neuen Stiles selbst
zuschreiben wollte und daß diese Zuschreibung allgemeine Anerkennung gefunden hat, bezeugt mehr
als alles andere, wie nahe die älteren Bilder Jans diesen Werken der Haager Hofkünstler stehen. Von
den Landschaften der Turiner Handschrift zu den Landschaften Jans, von dem Reiterzuge Wilhelms IV.
zu den Reiterscharen des Genter Altares ist nur ein Schritt mehr und so ist es in jeder Beziehung.
Diese Verwandtschaft mag vielleicht auch auf einem unmittelbaren Schulzusammenhang beruhen;
denn in den Rechnungen des Haager Hofes wird Jan zum erstenmale genannt. Doch das ist nur von
sekundärer Bedeutung. Wichtig ist, daß sich der Kreis vollkommen schließt und daß wir gar nicht
mehr zweifeln können, daß es zwischen der Kunst Jans und der ganzen vorangehenden Kunst keine Unter-
brechung gegeben hat, weder im Stile noch in der Entwicklung der malerischen Darstellungsprobleme.

Eine Untersuchung dieser Entwicklung führte uns zu dem Ergebnisse, daß weder die Probleme
noch die Wege zu ihrer Lösung an den Werken Jans neu gewesen sind sondern sich in ihrer allmäh-
lichen Entstehung in der Geschichte der vorangehenden Kunst beobachten lassen, deren Betrachtung
uns in gleicher Weise wie zum Stile Huberts auch zu jenem Stile führte, den uns eine Analyse der
Werke Jans erkennen ließ.

Jeder Fortschritt in der Kunst besteht in einer neuen Auffassung und Darstellung der Natur und
so hat man auch stets gewiß richtig erkannt, daß das Wesen des neuen Stiles Jans in einer neuen Auf-
fassung und Überwindung des naturalistischen Problems in der Malerei bestand. Doch war diese neue
«Entdeckung der Natur» weder sein persönliches Verdienst noch das eines anderen Künstlers seiner Zeit
sondern bildet die langsam gereifte Frucht der ganzen langen vorangehenden Entwicklung der goti-
schen Malerei. Es war eine neue, strengere, wissenschaftlichere Auffassung der Naturtreue und die ihr
entsprechenden Darstellungsmittel, die die Grundlage des neuen Stiles bildeten, und beides ist nicht
plötzlich entstanden sondern nach und nach auf Grund von durch viele Generationen gesammelten
Beobachtungen und Erfahrungen. Deshalb bedeutete die Kunst Jans für die Zeitgenossen — und wohl
auch für ihn selbst — weder eine Wandlung noch eine Revolution den vorangehenden Perioden gegen-
über. Erst späteren Zeiten, die jene Perioden nicht mehr kannten, ist sie als ein Umsturz, als eine Neu-
gründung erschienen.

Dennoch war der Stil Jans neu. Neu war die geniale Sicherheit, mit der der Meister gleich die
fertige Form gefunden hat, wo seine Vorläufer über ein tastendes Suchen nicht hinausgekommen sind.
Neu war aber auch die Konsequenz und einzig dastehende künstlerische Kraft und Genialität, mit der
er zu einem einheitlichen Prinzip der Kunst das zusammenfaßte, was die ihm vorangehende Malerei
nur als einzelne Errungenschaften besessen hat.

In der modernen Kunst hat sich ein ähnlicher Vorgang abgespielt. Dasselbe, was für die mittel-
alterliche Kunst die figuralen Schemen und Typen gewesen sind, waren für die Malerei der Neuzeit
die kompositionellen Regeln und Gesetze, bei welchen der Fortschritt darin bestand, daß man sie fort-
schreitend natürlicher und den naturalistischen Problemen entsprechender zu gestalten suchte, doch
ohne daß man sie je ganz aufgegeben hätte und ohne daß man sich dessen bewußt gewesen wäre, daß sie
trotz aller Natürlichkeit doch eine Erfindung des Künstlers und hiermit an eine Abstraktion gebunden
geblieben sind. Tintorettos Schlacht von Zara, vielleicht die großartigste Schöpfung seines Illusionismus,
ist doch als ganze Komposition nicht naturalistisch; denn nie hat ein menschliches Auge ein Schlach-
tengewimmel so gesehen, daß es jede Figur erkennen könnte. Doch langsam haben Beobachtungen,
die nicht von einer vom Maler erfundenen und vorgefaßten Komposition ausgegangen sind sondern
nur durch Naturnachahmung veranlaßt wurden, die bildliche Erfindung durchdrungen, einmal sich in
 
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