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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0323
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Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck

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der Kunst unserer Tage liegt eine nicht minder geschlossene und einheitliche Entwicklung als etwa
zwischen dem Aginetenfriese, der Ringergruppe in den Ufficien, dem Titusbogen und den Odysseusland-
schaften im Vatikan. Trotz vieler Ubereinstimmungen ist diese Entwicklung von jener, die sich in der
antiken Kunst vollzogen hat, wesentlich verschieden: neue Völker haben sich durch die Trümmer
der antiken Uberlieferung zu einer neuen Kunst durchgerungen. Darin scheint mir ein-
zig und allein das historische Geheimnis dieses neuen Stiles zu bestehen. Der neue Natu-
ralismus ist weder etwas Objektives noch etwas Transcendentales und war es auch nie
sondern ist wie alle anderen menschlichen Dinge ein historisches Produkt, die Frucht
einer neuen geschichtlichen Evolution, die mit den Skulpturen der großen gotischen
Dome begonnen hat und die bis heute nicht unterbrochen wurde. Sie bedeutet eine neue
sukzessive Eroberung der Natur und auf diese Eroberung ist vor allem der Fortschritt zurückzuführen,
der sich im Mittelalter und in der Neuzeit vollzogen hat, nördlich der Alpen und auch in Italien.
Ohne die gotische Skulptur wäre Giovanni Pisano und das Trecento, ohne die gotische Skulptur und
Malerei nicht Masaccio, Donatello und die Renaissance, ohne den neuen malerischen Stil der Nieder-
länder nicht der große malerische Stil der Venezianer, ohne die englische Malerei des XVIII. Jahr-
hunderts die ganze moderne Kunst nicht möglich gewesen. Wohl besaß die Apenninhalbinsel —
magna parens rerum — in der Erbschaft der klassischen Kunst eine Quelle von künstlerischen Anregun-
gen und Errungenschaften, auf Grund welcher man nicht nur mit suveräner Sicherheit auf den ersten
Wurf das gefunden zu haben scheint, was im Norden tastend gesucht wurde, sondern auch den Pro-
blemen der Kunst neue, ungeahnte Perspektiven eröffnet wurden; wohl haben auch die aus der im
Norden sich vollziehenden Kunstentwicklung stammenden Anregungen in Italien unter dem Einflüsse
der Antike eine andere Form angenommen, die wir ästhetisch höher schätzen, — ob mit Recht oder
Unrecht ist eine Frage, die keinen Sinn hat — doch das alles darf uns nicht verhindern, wie es bisher
fast durchwegs geschehen ist, die Mission und grundlegende Bedeutung der nördlich der Alpen sich
vollziehenden einheitlichen Kunstentwicklung zu verkennen.

In dieser Entwicklung bildet aber auch die Kunst Jan van Eycks nur ein Zwischenglied und das
Vasari-Carel van Mandersche Märchen muß und kann aus der Geschichte verschwinden und durch
Forschungen ersetzt werden, die dem Wege folgen werden, dessen beiläufige Richtung zu bestimmen
wir versucht haben.

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