Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

DOI Heft:
I. Teil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Pollak, Oskar: Studien zur Geschichte der Architektur Prags 1520-1600
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0098
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Studien zur Geschichte der Architektur Prags 1526—1600.

91

Den Angelpunkt der Renaissanceforschung in Prag bildet die Nordfassade jenes Burgtraktes, der
den berühmten, 1502 durch Benedikt Rieth vollendeten Wladislawschen Saal enthält (Taf. IV und
Fig. 3), jene Fassade, die von reichgeschmückten spätgotischen Strebepfeilern gestützt wird, deren
Fenster aber in ihren einfach profilierten Fensterkreuzen und in den kannelierten korinthisierenden
Pilastern, die auf Blattkonsolen aufstehen und das dreigeteilte, in seiner Struktur noch nicht ganz
verstandene «antikische» Gebälk tragen, den typischen deutschen Frührenaissancestil der Holbeinzeit
zeigen (Fig. 3). Das äußerste Fenster links trägt die seinerzeit vielbesprochene Inschrift: «(Wladislaus
Rex) Hungarie Bohemie 1493», die
einst die Forscher bewog, in die-
sen Fenstern das früheste Auf-
tauchen ausgesprochener Renais-
sanceformen in Deutschland zu er-
kennen.1 Bei einer eingehenden
fachmännischen Untersuchung, der
diese Fenster gelegentlich des Ar-
chitektenkongresses im Jahre 1870
unterworfen wurden, zeigte es sich,
daß diese Inschrift erstens gar nicht
eingemeißelt sondern nur auf-
gemalt ist und daß zweitens diese
Fenster nicht dem ursprünglichen
Bau angehören, sondern später ein-
gesetzt worden sein müssen. Hätte
man früher die genauen Baudaten
gekannt, d. h. gewußt, daß der Wla-
dislawsche Saal im Jahre 1502 voll-
endet wurde, so wäre schon da-
durch die Authentizität der In-
schrift als hinfällig erkannt wor-
den. Da nun im Jahre 1541 ein
furchtbarer Brand einen großen
Teil des Hradschins mit der Burg
und gerade den in Frage stehenden
Burgtrakt sehr arg beschädigte,
nahm man an, diese Fenster seien
gelegentlich einer Restaurierung,
und zwar «nach 1541», entstanden.
Manche rücken die Entstehungszeit der Fenster «nach dem Stile» sogar bis in die Zeit Rudolfs II. (!!)
hinauf. Wir werden im Verlaufe sehen, daß um das Jahr 1540 in Prag bereits ein ganz anderer, be-
deutend fortgeschrittenerer Stil herrschend geworden war und daß man daher bei jenen Monumenten,
die sich um die fraglichen Fenster zu einer Stilgruppe zusammenschließen und die man durchgängig
«nach 1541» entstanden sein läßt, diesen Zeitterminus einer gründlichen Revision unterziehen muß.

Doch bevor wir auf diese Frage eingehen, ist es notwendig, die Monumente, die diese Stilgruppe
bilden, kennen zu lernen. Eine auffallende Übereinstimmung mit den genannten Fenstern zeigen jene
des ehemaligen Neustädter Rathauses am Karlsplatze (Fig. 2). Hier sei gleich bemerkt, daß diese
Fassade einer kürzlich vorgenommenen Restaurierung ihr Dasein, respektive ihr Wiederaufleben ver-

K. k. Hofburg, Portal der Reiterstiege (nac

1 Ausführliche Literaturangabe in meinem Artikel über Meister Benedikt Ried in Thieme-Beckers Künstlerlexikon
III (1909), S. 3l8fl".
 
Annotationen