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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

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I. Teil: Abhandlungen
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Pollak, Oskar: Studien zur Geschichte der Architektur Prags 1520-1600
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https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0104
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Studien zur Geschichte der Architektur Prags 1520—1600.

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T

«Anno Domini 152g» dem fraglichen Bau des Neustädter Rathauses zeitlich in die nächste Nähe ge-
rückt wird. Auch hier sieht man jenen halbkreisförmig gebogenen, halb gotisch, halb renaissancemäßig
profilierten Gesimsstreifen, der unten auf einen abgeschrägten Pfosten aufstößt und seine Abstammung
von einer spätgotischen Türumrahmung mit Stäben und Hohlkehlen nicht verleugnen kann. Nach all
dem scheint es höchst wahrscheinlich, daß die fragliche Gruppe von Monumenten, an denen zuerst in
Prag Renaissancemotive auftreten, um das Jahr 1520 entstanden sind. Offenbar verdanken sie ihre
Entstehung einheimischen oder zumindest süddeutschen Künstlern («süddeutsch» im weitesten Sinne
genommen), die aus der Schule eines Benedikt Rieth, der ja bis 1534 lebte, stammten und italienische
Formen entweder nur aus sehr flüchtiger Anschauung oder, wahrscheinlicher, aus Studienzeichnungen
oder aus den groben Holzschnitten der damaligen italie-
nischen Architekturbücher, z. B. aus dem Vitruvius des
Fra Giocondo vom Jahre 1511, kannten. Mit der Be-
rufung von italienischen Baumeistern, Steinmetzen und
Maurern nach Prag zwecks Errichtung des Belvedere-
baues (1535) wurde die Sachlage mit einem Schlage
anders; man brauchte nicht mehr weit zu gehen, um reine
italienische Formen kennen zu lernen.

Dazu kommt noch ein zweites: War man bisher nur
auf flüchtige Zeichnungen und auf die summarischen Holz-
schnitte des Vitruvs des Fra Giocondo (1511) oder des
Cesariani (1521) angewiesen gewesen, so erschien im Jahre
1537 das 4. Buch der «Architettura» des Sebastiano Ser-
lio (als erstes der fünf Bücher, bei Marcolini, Venetia,
fol.), das die «Regole generali», d.h. die Säulenordnun-
gen und ihre Anwendung enthält und zum ersten Male
in großen, klaren und deutlichen Zeichnungen Antwort
auf alle Fragen der Komposition und Dekoration gab.
Die Konstruktion freilich, d. h. Grundriß und Aufriß der
Innenräume, blieb der Kenntnis und Erfindungsgabe des
Baumeisters vorbehalten; denn dieses Buch behandelte
nur Fassaden und deren Glieder. Wir werden denn auch

sehen, daß noch Bauten der sechziger Jahre, die in der Komposition und im Detail zeigen, wie gut ihre
Meister italienische Art begriffen haben, in der Konstruktion völlig auf spätgotischem Standpunkte
stehen. Dieser ersten Ausgabe des Serlio von 1537 folgte sofort im Jahre 1540 die zweite, die neben
dem 4. Buche auch zum ersten Male das 2. (von der Perspektive) und das 3. (von den römischen
Bauten) brachte.1 Nicht nur die einheimischen sondern auch die zugereisten italienischen Architekten
griffen gierig nach dem Buche. Daraus erklärt es sich, daß von jener Bautengruppe, die wir im Ein-
gange betrachtet haben, kein langsamer Übergang hinüberführt zu den Bauten, die nach 1535, respek-
tive nach 1540 entstanden sind, sondern daß nach dieser Zeit sofort die von Serlio gezeigten Hoch-
renaissanceformen in Aufnahme kommen.

Doch wir wollen uns nun dem Bau des sogenannten «Belvederes» oder, wie es in den Akten heißt,
des «Gartenpaus» oder des «Lusthauses im Garten» zuwenden (Taf. VI). Über die Baugeschichte dieses
Werkes sind wir durch die Regesten des Jahrbuches der kaiserlichen Kunstsammlungen sehr gut infor-
miert. Am i3. November 1534 schreibt König Ferdinand I. an den Prager Schloßhauptmann, er habe
die Absicht, beim Prager Schlosse einen Garten zu errichten, und hätte diesbezüglich einen Vertrag mit
italienischen Meistern und Maurern abgeschlossen; der Schloßhauptmann möge inzwischen dafür sorgen,
daß eine Brücke über den Schloßgraben (wohl die heutige Staubbrücke) geschlagen und der Platz zum

Fig. l3. Fenster mit Profilen aus Serlio,
IV. Libro d'Architettura, fol. LT.

1 Ebenfalls Venezia, Marcolini, fol. Dieser Ausgabe sind unsere Reproduktionen entnommen.
 
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