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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

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I. Teil: Abhandlungen
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Pollak, Oskar: Studien zur Geschichte der Architektur Prags 1520-1600
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https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0149
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Oskar Pollak.

die ruhenden Gestalten Kaiser Ferdinands L, seiner Gemahlin Anna und Kaiser Maximilians II. trägt;
vorne steht die segnende Figur des Erlösers. Für uns besonders interessant ist aber die Ausschmückung
der Seiten dieses Hochbaues durch Medaillonbildnisse früherer böhmischer Könige und Königinnen,
abwechselnd mit dekorativen Kartuschen (Fig. 48). An diesem überströmenden und doch die Grenzen
geschmackvoller Eleganz nicht übersteigenden Reichtum an Fruchtgirlanden, Bändern, Kartuschen,

Maskarons, frei erfundenen Ornamentstreifen,lauter
Dingen, die sich weder im Serlio, noch in anderen
Lehrbüchern fanden, mußten die von Natur aus
zu dieser Formenfülle hinneigenden nordischen
Künstler Gefallen finden und daraus Mut zu ähn-
licher Freiheit schöpfen, Mut, sich zu befreien von
der drückenden Fessel jener Lehrbücher, deren
halbverstandene Nachahmung ihnen so übel zu
Gesichte stand. Man darf nicht vergessen, daß ja
auch die niederländische wie die französische Re-
naissance bei der italienischen lange und aufmerk-
sam in die Schule gegangen war und nicht wenig
gelernt hatte. So scheint es z. B., daß die anschei-
nend so echtnordischen Formen des Beschläg- und
Rollwerks, die gerade durch Colins Grabmal zu-
erst in Prag eingeführt wurden, keine nordische
sondern eine italienische, speziell mittelitalienische
Erfindung sind. Die Kartuschen auf den geogra-
phischen Karten des Egnatio Danti, die dieser in
den sechziger Jahren in der «Guardaroba» des
Palazzo Vecchio zu Florenz und in der « Galleria
delle carte geografiche» im Vatikan malte und die
an Verzwicktheit und Kompliziertheit mit den toll-
sten Erzeugnissen deutscher oder niederländischer
Phantasie konkurrieren können, wollen da nicht
viel besagen; denn in jener Zeit könnte eventuell
schon ein Einfluß auf den Künstler vom Norden her
angenommen werden. Wo aber sicherlich die An-
nahme eines solchen Einflusses nicht statthaft ist,
das sind dieTitel-, respektive letzten Deckblätter der
Erstausgaben derBücher des Serlio: das letzte Blatt
des dritten und vierten Buches der «Architettura»
Fig. 62. Maltheserkirche, Epitaph Anna Horak. von J540 (Fig. 49), das Titelblatt des ersten Buches

von 1545 (Fig. 50) und jenes des fünften Buches von
1547 (Fig. 51) sind Musterbeispiele von ausgeschnittenen, durchlochten, gebogenen, eingerollten Kar-
tuschen des sogenannten «Beschlägstils». Und nicht genug daran: auch für jene späte, eben am Colinschen
Grabmal (Fig. 48) auftretende Form des Rost- und Rollwerks, für jenes Einanderdurchdringen zweier
übereinandergelegter Blechtafeln finden sich prächtige und reife Beispiele in dem 1553 von Hierony-
mus Cock herausgegebenen Kartuschenwerke des Florentiner Malers Benedetto Battini1 (Fig. 52).

Doch wenn auch Italiener diese Formen erfunden haben, so lag das Neue in den Werken der
Niederländer (und Deutschen) in der Verwendung dieser Motive. Wenn der Italiener sie für den Buch-

1 Der volle Titel lautet: «M. Benedictus Battini pictor Florentinus inventor. Hieronymus Cock pictor exeudebat. Cum
caesareae maiestatis gratia et privilegio 1553.» Ich benützte das Exemplar der Bibliothek Sarti in Rom.
 
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