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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

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I. Teil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs: Ein Versuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0181
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Julius v. Schlosser.

Im besonderen handelt es sich nun um einen Kunstzweig, der heute fast nur mehr auf einem
Gebiete anzutreffen ist, das der «Kunst», wie wir sie auffassen, als formal bestimmtem und wertvollem
Ausdruck der Persönlichkeit in ihrem technischen Können, nahezu ganz entrückt ist, in Jahrmarkts-
buden, Friseur- und Schneiderläden, das aber mehr als zwei Jahrtausende, bis an die Schwelle unserer
Zeit selbst, geblüht hat und eine merkwürdige Vergangenheit aufweist. An sich ist ja die Erscheinung
nicht selten, daß ein altes Kulturprodukt in tieferen Regionen der sozialen Schichtung als «survival»
eines abgelaufenen Entwicklungsprozesses weiterlebt. Manches Gerät, das seinen Ursprung im harten
Daseinskampf uralter Menschheit hat, wie Schleuder, Bogen oder Klapper, ist heute in unserer Kultur-
sphäre zum Kindertand geworden. Die alte Romanliteratur, einst Lektüre der ritterlichen Höfe des
Mittelalters, lebt nur mehr in den niedersten Volksschichten der deutschen und romanischen Länder, in
löschpapierenen Volksbüchlein mit grellen, bunten Umschlägen, die in Jahrmarktsbuden verkauft werden
und sich noch immer, wie die Reali di Francia und Guerin il meschino in Italien oder die Bibliotheque
Bleue von Epinal in Frankreich, alljährlich eines bedeutenden Umsatzes erfreuen. Ist das eine nicht un-
wichtige kulturhistorische Tatsache, so ist in kunstgeschichtlicher Hinsicht etwas anderes merkwürdig:
die dem bildsamen organischen Materiale von Anfang an inhärente Tendenz zum Naturalismus, die
sich im ganzen Verlauf der Geschichte jenes Kunstzweiges äußert, ja sie eigentlich ausmacht, eine Ten-
denz, die in der Verwendung des direkten Abgusses über der lebenden oder toten Natur, im naturalisti-
schen Beiwerk im weitesten Sinne gipfelt. Im Zusammenhang dieser Entwicklung handelt es sich aus
inneren oder äußeren Gründen, die wir kennen lernen werden, um das bis zur letzten Grenze realisti-
scher Wirkung getriebene Contrefait im eigentlichsten Sinne dieses Wortes; nirgends ist die bildende
Kunst mehr um das Spiegelbild der Wirklichkeit bemüht gewesen, nirgends hat sie das Gleichnis
vom Narziß, das die Renaissance in ihren akademischen Thesen gerne auf sie anwendet, wörtlicher
genommen.

Bibliographische Note.

Bevor ich auf das Thema selbst eingehe, will ich eine Übersicht der Literatur geben, soweit sie
den Gegenstand zusammenfassend behandelt. Trotz ihres verhältnismäßigen Reichtums ist sie an histori-
schen Einsichten arm und fast nur als Materialiensammlung anzusehen. Eine Ausnahme macht bloß
die glänzend scharfsinnige und in der Weise ihres Autors an lehrreichen Ausblicken reiche Abhandlung
Otto Benndorfs, deren ich hier mit besonderer Dankbarkeit gedenken muß: Antike Gesichtshelme
und Sepulkralmasken.1 Ausschließlich das Gebiet der römischen Ahnenbilder betreffen die folgenden
Aufsätze. Als erster ist G. E. Lessing zu nennen in einer gegen seinen ewigen Gegner Klotz gerichteten
Streitschrift: Über die Ahnenbilder der Römer.2 Allgemein und im ganzen vortrefflich orientieren über
dieses Teilgebiet, unter Benützung aller einschlägigen Spezialliteratur, die Artikel in Darenberg-
Saglios Dictionnaire des antiquites III, 403 (image); Marquardt, Privatleben der Römer, 2. Auflage,
I, 241 f.; Blümner, Technologie und Terminologie des Gewerbes und der Künste bei Griechen und
Römern II, 155 f. Das Gesamtgebiet der Wachsplastik vom Altertum bis auf die Neuzeit herab ist von
ein paar modernen französischen Autoren behandelt worden, freilich in rein antiquarischer Weise,
durchaus vom Standpunkte der Curiosite, in dem heute noch gangbaren Sinn des französischen Aus-
druckes. Die beste und gründlichste dieser Arbeiten ist die von Spire Blondel, Les modelleurs en cire.3
Sie ist von Le Breton, La sculpture en cire, im Text zur Publikation der Kollektion Spitzer V, i63f.
großenteils ausgeschrieben und durch einige Details vermehrt worden. Eine zweite Gesamtdarstellung,
in historischer Hinsicht ebensowenig genügend, ist von E. Molinier in seiner Histoire des arts appliques
ä l'industrie, vol. II: Les cires, p. 21g f., versucht worden. Einzelne speziellere Arbeiten werden gehöri-
gen Orts im Texte herangezogen werden.

1 Denkschriften ehr kais. Akademie der Wissenschaften in Wien, Bd. XXVIII (1878"), S. 3oi f.

2 Lachmann-Maitzahns Gesamtausgabe der Schriften, Bd. XI/l, 252, aus dem Nachlasse herausgegeben.

3 Gazette des beaux-arts 1882 (XXVI), 267 ff.
 
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