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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

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I. Teil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs: Ein Versuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0201
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Julius v. Schlosser.

Das Wichtige für uns ist nun, daß schon in den ältesten Aufzeichnungen die in Wachs geformte
Totenmaske erscheint. Das älteste Dokument ist uns in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise
monumental überliefert; es ist das merkwürdige Grabmal, das Philipp der Kühne seiner Gemahlin Isa-
bella von Aragon im Dom von Cosenza errichten ließ; die junge Fürstin war auf dem langen trauer-
vollen Rückzug aus dem Kreuzzug Ludwigs des Heiligen gegen Tunis in Kalabrien 1271 einem Unfälle
erlegen. Das Grabmal, das dem eigentümlichen Brauche jener Zeit nach bloß die Fleischteile der Ver-
storbenen aufnahm — das Skelett wurde nach St. Denis geführt — ist neuerdings von Bertaux in einer
ausgezeichneten Abhandlung beschrieben worden.1 Es stellt das Königspaar im Gebet vor der Madonna
kniend dar; das Singulare und für uns in höchstem Maße Interessante ist aber, daß die Gestalt der Kö-
nigin einen Kopf trägt, der deutlich den Charakter eines Abgusses über der Leiche zeigt. Die ge-
schlossenen Augen, der schmerzlich verzogene Mund, die krankhafte Veränderung der linken ange-

Fig. 6. Kopf der Königin Isabeau Fig. 7. Büste der Königin lsabeau

von ihrem Grabmal in Cosenza von ihrem Grabmal in St. Denis

(Klischee der Gazette des Beaux Arts). (Klischee der Gazette des Beaux Arts).

schwollenen Gesichtshälfte lassen trotz aller gotischen Stilisierung, die nur wie ein dünner Schleier über
dem Ganzen liegt, keinen Zweifel daran aufkommen, vollends wenn man das ganz konventionelle Staats-
porträt in St. Denis danebenhält (Fig. 6 und 7). Das ist also die älteste monumental überlieferte, aus
dem letzten Drittel des XIII. Jahrhunderts stammende Totenmaske, die bisher bekannt ist. Ob der Kopf
Philipps III. selbst (f 1285) auf seinem Grabmal in St. Denis auch unter Benützung einer Totenmaske
entstanden ist, möchte ich nicht mit dem Nachdrucke behaupten wie Male.2 Die frühesten literarisch über-
lieferten Spuren dieses Brauches lassen sich angeblich bis auf Philipp VI. (1350) und Jeanne de Bourbon,

gaben, die auf offiziellen zeitgenössischen Quellen beruhen, in Godefroys Ceremonial de France, Paris 1619 (Berichte von
1498—1584), p. 37—47, 79, 121, 279, 415, 561. — Eine Anzahl wichtiger Notizen aus Urkunden auch bei Laborde, Notice
des emaux II, 214 und 484 s. v. cire ouvree und representacion.

1 Le tombeau d'une Reine de France ä Cosenza en Calabrie: Gazette des Beaux Arts 1898, I, 265.

2 L'art religieux de la fin du moyen-äge, Paris 1908, p. 458. Dagegen ist die Notiz, die Doering, Deutschlands mittel-
alterliche Kunstdenkmäler als Geschichtsquellen, Leipzig 1910, S. 255 (mit Abb.), über die angebliche Totenmaske einer Dame
des XU. oder XIII. Jahrhunderts aus S. Fides in Straßburg bringt, in doppelter Hinsicht falsch. Einmal stammt der Grab-
fund aus S. Fides in Schlettstadt; dann handelt es sich nicht um eine Totenmaske, sondern um einen Naturabguß, der
(ähnlich wie bei gewissen pompejanischen Funden dieser Art) 1892 aus einer natürlichen Kalkform, die man im Grabe einer
vornehmen Dame vorgefunden hatte, genommen wurde. Ausführlicher Bericht über diese in anderem Betracht sehr merk-
würdige Entdeckung findet man im Bulletin de la Societe pour la conservation des Monuments historiques d'Alsace 1893, Fund-
berichte, p. 8 ff. (mit Tafeln). Es ist sehr zu bedauern, daß ein für weitere Verbreitung bestimmtes Handbuch derartige grobe
Fahrlässigkeiten enthält.
 
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