Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs.
203
Fig. 17. Grabfigur König Karl V. (f l38o) in St. Denis.
dem Scheinbilde, als wäre es lebend, die feierliche Prozession mit dem gleichen durch die Stadt, die
wieder an die eigentümliche Praxis, die heute noch im Orient lebendig ist, erinnert, endlich die uns
Heutige seltsam berührende, an das Panoptikum mahnende Schaustellung der ermordeten Guise, die
im Bilde des toten Caesar ihr antikes Gegenstück hat, sowie die «amende honorable» der Kleriker als
Umkehrung des Schand- und Spottbildes, wie es uns schon von der gekreuzigten Imago des Celsus
(s. o.) her in Erinnerung ist, alles das sind da wie dort wiederkehrende Züge.
Daß hier ein direkter Zusammenhang vorliegt, ist wohl ausgeschlossen; gleichwohl fällt es
uns schwer, ohne weiteres eine Generatio aequivoca, trotz allen typischen Verlaufs der Kulturehtwick-
lung und ihrer Ricorsi, anzunehmen. Gerade jene seltsamen, oben besprochenen Bestattungsgebräuche
zeigen eher eine fortwährende Kontinuität bestimmter Vorstellungen und gewisser ihnen entsprechender
Formen; daß zum Teile uralte primitive Gedanken mitwirken, wurde ebenfalls schon erwähnt; nur mit
der nötigen Vorsicht darf hier an gewisse prähistorische Bestattungsformen erinnert werden. Eine schon
von Benndorf herangezogene Sache soll aber nochmals zur Sprache kommen: der «eiserne Ritter» un-
serer Kondukte, in dem ein vergessenes und unkenntlich gewordenes Stück ältester Vorstellungen steckt:
der Mime des römischen Leichenzuges, der die Lebensparodie des Verstorbenen darzustellen hatte. Im
französischen Mittelalter war dieser Zug auch noch völlig durchsichtig und lebendig, wie aus alten
Rechnungsvermerken über adelige Leichenfeiern hervorzugehen scheint.1
Wir kehren zu dem für uns wichtigsten Punkt, der eigentlichen Porträtdarstellung, zurück.
Die Verwendung der Totenmaske als Grundlage für diese ist schon für die zweite Hälfte des XIII. Jahr-
hunderts mit Sicherheit anzunehmen (s. o.); die Betonung der möglichsten Naturtreue, «au plus vif que
faire on peult», ist ein ständiges Moment der Berichte; diese Naturtreue wird, ganz abgesehen von der
Gewandung, unterstützt durch die realistische Bemalung, die schon in den ältesten Zeugnissen hervor-
gehoben wird, sowie die Verwendung natürlichen Haupt- und Barthaares — nach dem uns zur Verfügung
stehenden Material zuerst zu Beginn des XVI. Jahrhunderts erwähnt, aber gleichfalls uralt, wie die Wachs-
köpfe von Cumae lehren.
Die von den offiziellen Hofkünstlern abgenommenen Totenmasken wurden in der Begräbniskirche
der französischen Könige, in St. Denis, aufbewahrt; dort erwähnt sie ein Autor des XVII. Jahrhunderts,
F. Lemee (s. u.), und dort haben sie sich bis zur französischen Revolution befunden, deren Volksstürmen
auch diese merkwürdige Sammlung zum Opfer gefallen ist.2 L. Courajod hat tatsächlich in einer Ton-
maske, die aus den Depots von St. Denis stammt, einen Abdruck aus der Form nachgewiesen, die
F. Clouet von dem Gesichte Heinrichs II. abnahm; die wenige Stunden nach dem jähen Tode des Fürsten
1 Laborde, La renaissance des arts ä. la cour de France I, 48, zitiert, freilich aus dem Gedächtnis, eine Stelle aus
den Rechnungsbüchern des Hauses Polignac: «Cinq sols donnes en i3oo ä Blaise pour avoir fait le raort aux funerailles
de Jean de Polignac.» Ich habe allerdings die Stelle in der vielbändigen Histoire generale de Languedoc von Dom Devic
und Dom de Vaissete (N. A. von Mulinier, Tuuluuse 1879), auf die sich Laborde beruft, nicht finden können. Laborde denkt
an einen Statisten, der den Toten auf dem Katafalk darzustellen gehabt hätte (?).
2 Lenoir et Dupaix, Antiquites Mexicaines, p. 65; nach Benndorf, a. a. 0.
XXIX. 27
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Fig. 17. Grabfigur König Karl V. (f l38o) in St. Denis.
dem Scheinbilde, als wäre es lebend, die feierliche Prozession mit dem gleichen durch die Stadt, die
wieder an die eigentümliche Praxis, die heute noch im Orient lebendig ist, erinnert, endlich die uns
Heutige seltsam berührende, an das Panoptikum mahnende Schaustellung der ermordeten Guise, die
im Bilde des toten Caesar ihr antikes Gegenstück hat, sowie die «amende honorable» der Kleriker als
Umkehrung des Schand- und Spottbildes, wie es uns schon von der gekreuzigten Imago des Celsus
(s. o.) her in Erinnerung ist, alles das sind da wie dort wiederkehrende Züge.
Daß hier ein direkter Zusammenhang vorliegt, ist wohl ausgeschlossen; gleichwohl fällt es
uns schwer, ohne weiteres eine Generatio aequivoca, trotz allen typischen Verlaufs der Kulturehtwick-
lung und ihrer Ricorsi, anzunehmen. Gerade jene seltsamen, oben besprochenen Bestattungsgebräuche
zeigen eher eine fortwährende Kontinuität bestimmter Vorstellungen und gewisser ihnen entsprechender
Formen; daß zum Teile uralte primitive Gedanken mitwirken, wurde ebenfalls schon erwähnt; nur mit
der nötigen Vorsicht darf hier an gewisse prähistorische Bestattungsformen erinnert werden. Eine schon
von Benndorf herangezogene Sache soll aber nochmals zur Sprache kommen: der «eiserne Ritter» un-
serer Kondukte, in dem ein vergessenes und unkenntlich gewordenes Stück ältester Vorstellungen steckt:
der Mime des römischen Leichenzuges, der die Lebensparodie des Verstorbenen darzustellen hatte. Im
französischen Mittelalter war dieser Zug auch noch völlig durchsichtig und lebendig, wie aus alten
Rechnungsvermerken über adelige Leichenfeiern hervorzugehen scheint.1
Wir kehren zu dem für uns wichtigsten Punkt, der eigentlichen Porträtdarstellung, zurück.
Die Verwendung der Totenmaske als Grundlage für diese ist schon für die zweite Hälfte des XIII. Jahr-
hunderts mit Sicherheit anzunehmen (s. o.); die Betonung der möglichsten Naturtreue, «au plus vif que
faire on peult», ist ein ständiges Moment der Berichte; diese Naturtreue wird, ganz abgesehen von der
Gewandung, unterstützt durch die realistische Bemalung, die schon in den ältesten Zeugnissen hervor-
gehoben wird, sowie die Verwendung natürlichen Haupt- und Barthaares — nach dem uns zur Verfügung
stehenden Material zuerst zu Beginn des XVI. Jahrhunderts erwähnt, aber gleichfalls uralt, wie die Wachs-
köpfe von Cumae lehren.
Die von den offiziellen Hofkünstlern abgenommenen Totenmasken wurden in der Begräbniskirche
der französischen Könige, in St. Denis, aufbewahrt; dort erwähnt sie ein Autor des XVII. Jahrhunderts,
F. Lemee (s. u.), und dort haben sie sich bis zur französischen Revolution befunden, deren Volksstürmen
auch diese merkwürdige Sammlung zum Opfer gefallen ist.2 L. Courajod hat tatsächlich in einer Ton-
maske, die aus den Depots von St. Denis stammt, einen Abdruck aus der Form nachgewiesen, die
F. Clouet von dem Gesichte Heinrichs II. abnahm; die wenige Stunden nach dem jähen Tode des Fürsten
1 Laborde, La renaissance des arts ä. la cour de France I, 48, zitiert, freilich aus dem Gedächtnis, eine Stelle aus
den Rechnungsbüchern des Hauses Polignac: «Cinq sols donnes en i3oo ä Blaise pour avoir fait le raort aux funerailles
de Jean de Polignac.» Ich habe allerdings die Stelle in der vielbändigen Histoire generale de Languedoc von Dom Devic
und Dom de Vaissete (N. A. von Mulinier, Tuuluuse 1879), auf die sich Laborde beruft, nicht finden können. Laborde denkt
an einen Statisten, der den Toten auf dem Katafalk darzustellen gehabt hätte (?).
2 Lenoir et Dupaix, Antiquites Mexicaines, p. 65; nach Benndorf, a. a. 0.
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