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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

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I. Teil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs: Ein Versuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0213
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Julius v. Schlosser.

angefertigte Maske zeigt das voraufgegangene Leiden in erschreckender Deutlichkeit (Fig. 15V1 Lenoir
hat bereits die Bemerkung gemacht, daß jene Totenmasken und «effigies» den Bildhauern, die die Königs-
gräber in St. Denis auszuführen hatten, als Vorlagen gedient hätten. In der Tat zeigt sich schon bei
den Grabfiguren des XIV. Jahrhunderts ein auffälliger Naturalismus, den Courajod2 und besonders Male3
mit jenen Totenmasken in Verbindung gebracht haben (Fig. 16 und 17). Es wäre nun Sache eines un-
methodischen und flachen Positivismus, die Stilentwicklung der französischen Plastik, der von jener

Zeit ab eine starke Ten-
denz zum Realismus
als innerlich treibendes
Moment eignet, allein
auf einen solchen Um-
stand zu gründen;4
doch ist wohl kein Zwei-
fel, daß, ähnlich wie
einst bei der römischen
Porträtplastik, die vor-
handene naturalistische
Tendenz durch den
nationalen Brauch eine
sehr ausgiebige För-
derung erhalten hat.
Dieser Realismus zeigt
sich übrigens hier wie
im ganzen typischen
Verlauf der Kunstge-
schichte weit früher
beim männlichen Por-
trät als bei dem weib-
lichen, das noch ge-
raume Zeit gebun-
den und konventionell
bleibt; man sehe noch
etwa in Italien die Ilaria
del Carretto Quercias
(in Lucca) daraufhin
an. Auch kann eine
äußere Ursache ver-

Fig. 18. Büste Heinrichs IV.
(Chantilly).

stärkend zu den allgemeinen Entwicklungstendenzen hinzugetreten sein: die Totenmaske haftet, im all-
gemeinen wenigstens, an der fürstlichen Person männlichen Geschlechts, wie wir noch im Venedig des
XVIII. Jahrhunderts wohl von der Statue des Dogen, aber niemals von der der Dogaressa etwas hören.
Das älteste monumental überlieferte Beispiel ist freilich das der Königin Isabella zu Cosenza (s. o.),
jedoch ein Unikum; von ihrem Grabmal zu St. Denis, das wieder eine ganz konventionelle Form zeigt,
war schon früher die Rede, Für die Art, in der sich übrigens der der Grabplastik anhängende naive
Realismus in der märchenbildenden Volksphantasie spiegelt, liefert die in Ottokars von Steiermark Reim-

1 Bulletin de la Societe nationale des Antiquaires de France 1882, 152.

2 I.econs professees ä l'Kcole du Louvre II, 100 f.

3 L'art religieux de la fin du moyen-äge en France, Paris 1908, 457 f.

4 Auch ein so feiner Beobachter wie Male fehlt in diesem Punkte, so berechtigt auch sein Tadel von Courajods ein-
seitiger vlämischer Rassentheorie ist.
 
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