Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs.
207
IL Kapitel.
Entwicklung seit dem Mittelalter.
Die Votivplastik.
Es gibt noch ein anderes Gebiet viel demokratischeren Wesens als die ursprünglich und eigentlich
aristokratische Funeralplastik, auf dem die Wachsbildner lohnende Arbeit gefunden haben. Auch hier
ragen Vorstellungen aus grauem Altertum bis in unsere eigene
Zeit hinein. Es handelt sich um die Votivgaben in Wachs,
die schon dem griechischen Altertum nicht unbekannt waren.1
Sie sind noch heute in unseren Wallfahrtskirchen zu vielen
Hunderten aufgehäuft zu sehen, freilich fast immer nur in
kleinem Maßstab, alle Körperteile des Menschen bis zur ganzen
Figur hinauf nachbildend, daneben Darstellungen von Tieren
— alles das als Dank für Heilung von Gebrechen, für abge-
wendetes Unheil aller Art in dieser naiv-symbolischen Weise
dargebracht.2 Auch dieses lebt aus ältestem Altertum her; die
vergänglichen Wachsvotive sind freilich in ihre Elemente auf-
gelöst worden, erhalten haben sich aber die dauerhaften aus
Metall, wie die eisernen Leonhardkühlein, die in unseren Alpen
aus venetisch-keltischer Heidenzeit bis auf unsere Tage in der
gleichen primitiven Schmiedeform fortdauern. In solchen
Dingen pflegt die Tradition äußerst zähe zu sein; die wächser-
nen Pärlein, die man etwa in kärntnerischen Gnadenorten, so
auf dem von drei Nationen besuchten heiligen Berg von Maria
Luschari im Kanaltal verkauft, gehen, wie das Kostüm zeigt,
auf Model des XVII. Jahrhunderts zurück; gerade die kärntneri-
schen Wachsziehereien von Millstatt, Spittal, Gmünd reichen
in ununterbrochener blühender Geschäftstradition bis ins XVII.,
ja ins XVI. Jahrhundert zurück.3 Heute sind diese Dinge frei-
lich vorwiegend auf die untersten Volksschichten beschränkt,
dementsprechend ärmlich und unscheinbar. Aber auch sie
haben eine sehr ansehnliche Vergangenheit.
Die christliche Kirche hat von jeher eine offene Hand
für das in ihrem Kult reichlich verwendete Wachs gehabt.
Auch hier knüpft sie, wie in so vielen Dingen, direkt an die
heidnische Antike an. Ein hübsches Augenblicksbildchen aus
dem späten Altertum zeigt uns den Philosophen Asklepios den
Fig. 21. Votivstatue Leonhards von Görz
Freund Kaiser Julians und eifrigen Anhänger des alten Glau-
~ (Innsbruck, Ferdinaadeum).
bens, wie er in dem berühmten Apollotempel von Antiochia
vor einer silbernen Statuette der Venus Urania Wachskerzchen entzündet — ein Bild, das ebensogut in
eine katholische Kirche von heute paßt.4 Wachskerzen und wächserne oder tönerne Bildchen (sigillaria)
spielten auch bei der uralten Feier der römischen Saturnalien eine Rolle; sehr bemerkenswert ist für uns
die Erklärung der alten Philologen, die Macrobius5 aufbewahrt hat. Die Wachsgabe ersetzt den ganzen
1 Blümner, Technologie II, 155.
2 Andree, Votive und Weihegaben des katholischen Volkes in Süddeutschland, Braunschweig 1904.
3 Andree, a. a. O., 80.
4 Bei Ammianus Marcellinus XXII, 15.
5 Saturn. I, II.
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IL Kapitel.
Entwicklung seit dem Mittelalter.
Die Votivplastik.
Es gibt noch ein anderes Gebiet viel demokratischeren Wesens als die ursprünglich und eigentlich
aristokratische Funeralplastik, auf dem die Wachsbildner lohnende Arbeit gefunden haben. Auch hier
ragen Vorstellungen aus grauem Altertum bis in unsere eigene
Zeit hinein. Es handelt sich um die Votivgaben in Wachs,
die schon dem griechischen Altertum nicht unbekannt waren.1
Sie sind noch heute in unseren Wallfahrtskirchen zu vielen
Hunderten aufgehäuft zu sehen, freilich fast immer nur in
kleinem Maßstab, alle Körperteile des Menschen bis zur ganzen
Figur hinauf nachbildend, daneben Darstellungen von Tieren
— alles das als Dank für Heilung von Gebrechen, für abge-
wendetes Unheil aller Art in dieser naiv-symbolischen Weise
dargebracht.2 Auch dieses lebt aus ältestem Altertum her; die
vergänglichen Wachsvotive sind freilich in ihre Elemente auf-
gelöst worden, erhalten haben sich aber die dauerhaften aus
Metall, wie die eisernen Leonhardkühlein, die in unseren Alpen
aus venetisch-keltischer Heidenzeit bis auf unsere Tage in der
gleichen primitiven Schmiedeform fortdauern. In solchen
Dingen pflegt die Tradition äußerst zähe zu sein; die wächser-
nen Pärlein, die man etwa in kärntnerischen Gnadenorten, so
auf dem von drei Nationen besuchten heiligen Berg von Maria
Luschari im Kanaltal verkauft, gehen, wie das Kostüm zeigt,
auf Model des XVII. Jahrhunderts zurück; gerade die kärntneri-
schen Wachsziehereien von Millstatt, Spittal, Gmünd reichen
in ununterbrochener blühender Geschäftstradition bis ins XVII.,
ja ins XVI. Jahrhundert zurück.3 Heute sind diese Dinge frei-
lich vorwiegend auf die untersten Volksschichten beschränkt,
dementsprechend ärmlich und unscheinbar. Aber auch sie
haben eine sehr ansehnliche Vergangenheit.
Die christliche Kirche hat von jeher eine offene Hand
für das in ihrem Kult reichlich verwendete Wachs gehabt.
Auch hier knüpft sie, wie in so vielen Dingen, direkt an die
heidnische Antike an. Ein hübsches Augenblicksbildchen aus
dem späten Altertum zeigt uns den Philosophen Asklepios den
Fig. 21. Votivstatue Leonhards von Görz
Freund Kaiser Julians und eifrigen Anhänger des alten Glau-
~ (Innsbruck, Ferdinaadeum).
bens, wie er in dem berühmten Apollotempel von Antiochia
vor einer silbernen Statuette der Venus Urania Wachskerzchen entzündet — ein Bild, das ebensogut in
eine katholische Kirche von heute paßt.4 Wachskerzen und wächserne oder tönerne Bildchen (sigillaria)
spielten auch bei der uralten Feier der römischen Saturnalien eine Rolle; sehr bemerkenswert ist für uns
die Erklärung der alten Philologen, die Macrobius5 aufbewahrt hat. Die Wachsgabe ersetzt den ganzen
1 Blümner, Technologie II, 155.
2 Andree, Votive und Weihegaben des katholischen Volkes in Süddeutschland, Braunschweig 1904.
3 Andree, a. a. O., 80.
4 Bei Ammianus Marcellinus XXII, 15.
5 Saturn. I, II.