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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

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I. Teil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs: Ein Versuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0224
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Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs.

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anderem die Statuen Lorenzo Magnificos, Pier Soderinis, der Päpste Alexander VI., Leo X. und
Clemens VII., Kaiser Friedrichs IV., Christians I. von Dänemark, eines der letzten christlichen Könige
von Bosnien,1 der Isabella d'Este, sogar eines Türkenpaschas.2 Noch im Anfange des XVII. Jahr-
hunderts enthielt die Annunziata an 600 lebensgroße Boti, neben unzähligen kleineren. Ihr Aspekt um
diese Zeit ist durch alte Reisebeschreibungen, wie des Arnold Buchellius von Utrecht um 1588 und die
Schilderung des hispanisierten Florentiners Vincenzo Carducci (Carducho) in den Dialogos de la pintura
von 1634 überliefert.3 Der letztere betont schon die Wichtigkeit der aufgehäuften Kostüme und Rüstungen
für das Studium des Malers. Zu-
letzt beschreibt sie noch Del Mi-
gliore in seiner Firenze Illustrata
von 1684; der fromme Mann be-
dauert im Interesse des religiösen
Gefühls die Spoliierung der Kirche
und die Übertragung der Boti in
den kleinen Klosterhof. Aber das
Gedränge war so groß geworden,
daß die lebende Gemeinde selbst
keinen Platz mehr fand und oben-
drein durch die schweren Votive,
die zu ihren Häupten an zermürb-
ten Stricken baumelten, andauernd
bedroht war. Die Räumung, die
auch mit der um 1664 einsetzen-
den Modernisierung der Kirche zu-
sammenhing, war der Anfang vom
Ende. Das alte Gewerbe der Boti
war ohnehin schon zuVasaris Zei-
ten degeneriert; auch der Fra Ti-
moteo in Macchiavellis Mandragola
klagt schon über die Abnahme der
einstigen werktätigen Frömmig-
keit.4 Die letzten Reste des merk-
würdigen alten Ensembles sind im
Zeitalter der Aufklärung, unter
Großherzog Leopold, dem späte-
ren Kaiser, verschwunden; zu den
vielen segensreichen Reformen der

lothringischen Herrschaft in Toskana gesellte sich auch diese. Wir müssen es wohl ihr wie dem
josephinischen Zeitalter überhaupt zugute halten, wenn das Gegenmittel allzu radikal war; denn mit
der Masse wertlosen Ballastes ist wohl sicher vieles Merkwürdige und der Konservierung Werte ver-
schwunden, das sich bis dahin noch erhalten hatte.

Die Annunziata ist nur das vornehmste Beispiel ihrer Art; Kirchenmuseen dieses Charakters waren
noch anderwärts, auch im Norden vorhanden. Die Kirche von St. Wolfgang am Abersee ist schon er-
wähnt worden. Heute können wir in Italien nur etwa in der vor den Toren Mantuas gelegenen Wall-
fahrtskirche S. Maria delle Grazie (in der auch Raffaels Freund Castiglione begraben liegt) eine unge-

Fig. 28. Büste des Luca Pitti
(Palazzo Pitti, Argenteria).

1 Vasari-Sansoni VI, 6, 32.

2 Die Belege bei Mazzoni, a. a. O.

3 Mazzoni, a. a. 0., 15 f.

4 Act. V. Sc. 1.
 
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