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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

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I. Teil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs: Ein Versuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0233
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Julius v. Schlosser.

von Augen aus farbigem Venezianer Glas, den aus demselben Material nachgebildeten Tränen, die rea-
listische Polychromie überhaupt, die das äußerste wagt, dazu die illusionistische Behandlung der Ge-
wänder, die die Wirklichkeit vortäuscht, sind nicht leicht zu überbieten.

Ein Schulbeispiel dafür ist das berühmte Kruzifix in der Kathedrale von Burgos (Capilla de los
huevos), in schauderhafter Naturwahrheit mit den blutenden und schwärenden Wunden dargestellt

und nach einer Tradition, die
freilich (besonders angesichts der
Uberlebensgröße des Bildes) phan-
tastisch anmutet, mit wirklicher
Menschenhaut überzogen. Aber
was namentlich die andalusische
Plastik eines Montanez und der
ihm Gleichstehenden an hinreißen-
der, glühender Gewalt des Aus-
druckes mit solchen Mitteln er-
reicht hat, gehört zu den eindring-
lichsten Schöpfungen echter Kunst.
Ein glänzendes Beispiel ist die
wundervolle, ausSevilla stammende
Madonnenbüste im Berliner Mu-
seum, auf dem Gebiete der Por-
trätplastik aber der bis zur Un-
heimlichkeit lebenswahre Kopf
Philipps II. aus farbig emailliertem
Silber im Wiener Hofmuseum.1 Am
Ende dieser Richtung steht dann
Francisco Zarcillo in Murcia, der
in seinen höchst lebendigen, be-
kleideten Holzfiguren Wirkungen
anstrebt, die man heute gering-
schätzig der Panoramenkunst zu-
weist. Nur sind auch diese Dinge
sehr alt und ganz volkstümlich und
hängen mit den Repräsentationen
der katholischen Kirche, mit ihren
Krippen und Olbergen, heiligen
Gräbern, Kaivarienbergen essentiell
zusammen. Abgesehen von den Wer-
ken eines Guido Mazzoni und ande-
rer ihm verwandter Tonplastiker
des Quattrocento, wäre hier eines der merkwürdigsten Beispiele, der Sacro monte von Varallo, zu nennen,
dessen Passion, ein ganzes großes Panorama, unter Leitung des Gaudenzio Ferrari ausgeführt worden ist.

Unter solchen Umständen steht also die naturalistische Porträtbüste, trotz aller akademischen
und klassizistischen Strömungen im XVII. und XVIII. Jahrhundert, durchaus nicht als etwas Vereinzeltes
und Ausnahmsweises da.

Die Wachsbüste, wie sie durch das nicht mehr erhaltene Porträt Cosimos II. von Tacca repräsen-
tiert wird, hat (zusammen mit der vollständigen Wachsfigur) auch tatsächlich das ganze XVII. und

Fig. 32. Kaiserin Marie Louise
(k. u. k. Kamilicn-FideikommiUbibliotlick).

1 Vgl. mein Album ausgewählter Gegenstände, Wien 1901, Taf. XII.
 
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