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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

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I. Teil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs: Ein Versuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0242
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Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs.

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Barockplastik auf diesem Gebiete darstellt, paßt in die außerordentliche Umgebung, in der dieser Mann
sich bewegt hat.

Noch späterer Zeit gehört eine Büste an, die vor mehreren Jahren (als angebliches Goethebildnis)
an das Wiener Goethemuseum gelangt ist und deren Kenntnis ich der Freundlichkeit des Herrn Kustos
Dr. Payer von Thum verdanke; seit kurzem ist sie als Widmung in den Besitz des kunsthistorischen
Hofmuseums übergegangen 1 (Taf. XXV). Eine alte Inschrift an der Rückseite nennt den Namen des Dar-
gestellten (Daguesseau). Darnach scheint es sich um den berühmten französischen Staatsmann und Ge-

Fig. 41. Büste des Fra Domenico Paganelli
(Faenza).

setzgeber aus der Zeit Ludwigs XIV., den Kanzler d'Aguesseau, zu handeln, der 1668 in Limoges geboren
wurde und 1751 in hohem Alter starb. Das Kostüm mit dem gefältelten Spitzenjabot (der Frack ist längst
den Motten zum Opfer gefallen) scheint allerdings in eine etwas vorgerücktere Periode des XVIII. Jahr-
hunderts zu weisen; freilich ist durchaus nicht ausgeschlossen, sogar sehr wahrscheinlich, daß es
von einer Restauration viel späterer Zeit herrührt. Die mir bekannten Stiche stellen den berühmten
Juristen in der Vollkraft des Mannesalters und in der feierlichen Hoftracht des Zeitalters Louis XIV. mit
der Allongeperücke dar, so daß die Vergleichung erschwert ist, die aber trotzdem, namentlich in der
Mundpartie, bemerkenswerte Ubereinstimmungen ergibt. Die Büste gibt jedoch zweifellos einen hoch-
betagten Mann an der Lebensgrenze wieder und scheint außerdem mit Benützung einer Totenmaske
hergestellt zu sein, wäre also demnach erst nach der Mitte des Jahrhunderts entstanden. Sie ist ein
technisch wie künstlerisch hervorragendes Werk, fein und sorgfältig, ohne Kleinlichkeit modelliert und

1 Es ist für die Geschicke der Wachsbildnerei charakteristisch, daß sie aus der Rumpelkammer eines alten hiesigen
Friseurgeschäftes in das Goethemuseum gerettet wurde.
 
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