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Julius v. Schlosser.
feierlichen Aufbahrungen in der Chambre ardente zur Schau zu stellen pflegte, gehandelt hat, deren
Autor der in der Konkurrenz unterlegene Bourdin selbst war. Aus den weiteren Details, namentlich
aus dem monatlichen Kontrakt, hat Vitry scharfsinnig und überzeugend geschlossen, daß es sich hier
wahrscheinlich um einen frühen
«Barnum» gehandelt hat, daß jener
Bechefer ein spekulativer Unter-
nehmer war, der mit der Schau-
stellung der Effigie des Königs,
ganz in der Art, wie es in Paris
zum offiziellen Zeremoniell ge-
hörte, in der Provinz Geschäfte
machen wollte; die Schauertat Ra-
vaillacs war ja noch überall in
frischem Andenken. Das wäre dann
die älteste Spur der Wachsfiguren-
kabinette, die wir kennen, schon
mit dem Einschlag des Gruseligen,
der von ihnen untrennbar scheint.
Zu Ende des XVIII. Jahr-
hunderts unterhielt ein Deutscher
namens Creutz(Curtius) ein Wachs-
figurenkabinett auf einem Pariser
Boulevard; der Eintrittspreis war
sehr bescheiden, zwei Sous; 1783
eröffnete der nämliche Creutz unter
enormem Zulauf der schaulustigen
Pariser Flaneure die «caverne des
grands voleurs;» das ist schon
völlig das Niveau der Jahrmarkts-
buden und jener später weltbe-
rühmten Kabinette des XIX. Jahr-
hunderts, der Madame Tus^and in
London, des Musee Grevin in
Paris usw. Daß jener Creutz aber
trotzdem, gerade so wie sein Vor-
gänger Benoist, als Künstler auftrat
und als solcher eingeschätzt wurde,
beweist seine Zulassung zu der
vornehmsten Pariser Schaustellung:
1791 war im Salon eine farbige
Wachsbüste des königlichen Prin-
zen von seiner Hand zu sehen.1
Für uns ist endlich eine vielbelobte Sehenswürdigkeit des alten Wien von Interesse: das schon
einmal erwähnte, ursprünglich am Stock im Eisen, später beim roten Turme befindliche Kunstkabinett
des Hofstatuarius Müller-Deym. Die alten gedruckten Führer2 lehren uns seinen Aspekt zu Ende des
XVIII. Jahrhunderts kennen; es ist ein echtes und rechtes Panoptikum im heutigen Sinne.
Fig. 43. Büstchcn Haydns
(Wien, Sammlung Steger}.
1 Le Breton, a. a. O., 187. 2 Beschreibung der k. k. priv. durch den Hofstatuarius Müller errichteten Kunst-
galerie zu Wien. Von C. M. A. 1797, 104 S. — Die Beschreibung der k. k. priv. Kunstgalerie zu Wien am roten Turme.
Von C. M. A. Gedruckt bey Carl Gerold, Wien 1814, 61 S., enthält das Wachsfigurenkabinett nicht mehr.
Julius v. Schlosser.
feierlichen Aufbahrungen in der Chambre ardente zur Schau zu stellen pflegte, gehandelt hat, deren
Autor der in der Konkurrenz unterlegene Bourdin selbst war. Aus den weiteren Details, namentlich
aus dem monatlichen Kontrakt, hat Vitry scharfsinnig und überzeugend geschlossen, daß es sich hier
wahrscheinlich um einen frühen
«Barnum» gehandelt hat, daß jener
Bechefer ein spekulativer Unter-
nehmer war, der mit der Schau-
stellung der Effigie des Königs,
ganz in der Art, wie es in Paris
zum offiziellen Zeremoniell ge-
hörte, in der Provinz Geschäfte
machen wollte; die Schauertat Ra-
vaillacs war ja noch überall in
frischem Andenken. Das wäre dann
die älteste Spur der Wachsfiguren-
kabinette, die wir kennen, schon
mit dem Einschlag des Gruseligen,
der von ihnen untrennbar scheint.
Zu Ende des XVIII. Jahr-
hunderts unterhielt ein Deutscher
namens Creutz(Curtius) ein Wachs-
figurenkabinett auf einem Pariser
Boulevard; der Eintrittspreis war
sehr bescheiden, zwei Sous; 1783
eröffnete der nämliche Creutz unter
enormem Zulauf der schaulustigen
Pariser Flaneure die «caverne des
grands voleurs;» das ist schon
völlig das Niveau der Jahrmarkts-
buden und jener später weltbe-
rühmten Kabinette des XIX. Jahr-
hunderts, der Madame Tus^and in
London, des Musee Grevin in
Paris usw. Daß jener Creutz aber
trotzdem, gerade so wie sein Vor-
gänger Benoist, als Künstler auftrat
und als solcher eingeschätzt wurde,
beweist seine Zulassung zu der
vornehmsten Pariser Schaustellung:
1791 war im Salon eine farbige
Wachsbüste des königlichen Prin-
zen von seiner Hand zu sehen.1
Für uns ist endlich eine vielbelobte Sehenswürdigkeit des alten Wien von Interesse: das schon
einmal erwähnte, ursprünglich am Stock im Eisen, später beim roten Turme befindliche Kunstkabinett
des Hofstatuarius Müller-Deym. Die alten gedruckten Führer2 lehren uns seinen Aspekt zu Ende des
XVIII. Jahrhunderts kennen; es ist ein echtes und rechtes Panoptikum im heutigen Sinne.
Fig. 43. Büstchcn Haydns
(Wien, Sammlung Steger}.
1 Le Breton, a. a. O., 187. 2 Beschreibung der k. k. priv. durch den Hofstatuarius Müller errichteten Kunst-
galerie zu Wien. Von C. M. A. 1797, 104 S. — Die Beschreibung der k. k. priv. Kunstgalerie zu Wien am roten Turme.
Von C. M. A. Gedruckt bey Carl Gerold, Wien 1814, 61 S., enthält das Wachsfigurenkabinett nicht mehr.