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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

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I. Teil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs: Ein Versuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0252
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Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs.

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lang ihr Dasein gefristet. Es kann der ganzen geschichtlichen Entwicklung nach kein Zweifel daran
sein, daß sie mit ihrer stets inhärenten Tendenz zum Naturalismus das leisten sollte, was die eigentliche
Bourgeoiskunst der neuen Zeit, die Photographie, ebenfalls, nur faßbarer, weniger sinnlich, wissenschaft-
lich objektiver, gleichsam begriffsmäßiger, und vor allem viel Ökonomischer geleistet hat: ein möglichst
«treues», «lebendiges», «wahres» Bild der Persönlichkeit zu überliefern. Die Gänsefüßchen, die wir
hier setzen, sollen auf das spinöse Problem des Bildnisses, in dessen Kern die alte Pilatusfrage steckt,
aufmerksam machen. Tatsächlich hat die Camera obscura das ohnehin schwache Lebensflämmchen des

Fig. 50. Heiligenbüste Fig. 51. Heiligenbüste

(Venedig, Redentore). (Venedig, Redentore).

alten Kunstzweiges vollends ausgeblasen, soweit auch hier nicht jene oft berührte Mediatisierung eintrat.
Denn nun fanden seine Reste die letzte Zuflucht im Panoptikumwesen, dessen Anfänge wir bis in die
Tage Ludwigs XIV. zurückverfolgen konnten — ja im Grunde noch viel weiter zurück, in das älteste
Museum überhaupt, die Kirche, nur daß die demokratische Form des tarifierten Eintrittsgeldes hier noch
nicht gegeben war und das Ganze sich hieratischen Normen fügen mußte. Das aristokratische Element
in jenen Schaustellungen ist als eigentlicher Kern des Ganzen von Benoists bis auf Müllers Kabinett
herab noch recht bemerklich; der Zusammenhang mit der höfischen Wachsplastik verleugnet sich nicht.
Es mag hier nur daran erinnert werden, wie lange die öffentliche Denkmalplastik von sozialen Normen
bestimmt war; die ganze ältere Periode, die mit der großen Cäsur der napoleonischen Epoche ab-
schließt, kennt so gut wie ausschließlich das Standbild des Herrschers, des Feldherrn und Staatsmannes.
(Die Statuen alter Römer, wie des Vergil, Livius, Ovid in Padua, Mantua, Sulmona gelten nicht sowohl
den Dichtern, als den Repräsentanten des Munizipalstolzes.) Erst das neue demokratische Zeitalter hat
in diesem Punkte anders gedacht; das erste Künstlerdenkmal, das, charakteristisch genug, die Metropole

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