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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

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I. Teil: Abhandlungen
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Kuhn, Alfred: Die Illustration des Rosenromans
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https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0028
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20

Alfred Kuhn.

Die Handschriften des Rosenromans.

Aus der Zeit des ersten Teiles, also aus dem Zeitraum vor 1270, ist uns kein illustrierter Rosen-
roman erhalten. Die ältesten Manuskripte entstammen den letzten Jahren des XIII. Jahrhunderts. Zuerst
ist hier Bibl. Nat. fr. 1559 (Fig. 2) zu nennen, ein Exemplar von ausgesprochen nordfranzösischem
Charakter mit 18 Miniaturen ungleicher Güte. Einzelne zeigen eine feine Federzeichnung der Gesichter
mit hochspringenden Brauen und zierlich sich ringelndem Haar. Noch besteht völliger Irrealismus der
Farbe. Rosa und blaue Bäume sind die Regel. — Bibl. Nat. fr. 1564 ist ein minderwertiges Exemplar. —
Bibl. Nat. fr. 378 wiederum enthält 28 kleine, vorzügliche Miniaturen, auf denen Dunkelpurpur und
Blau beliebt sind. Die graziösen Figuren zeigen einen delikaten Zeichenstil und könnten vielleicht in
Paris entstanden sein. Auch Ars. Ms. 5210 gehört dahin, wenn es auch Fabriksarbeit einer späteren
Zeit ist. — Nach dem Norden und in den Anfang des XIV. Jahrhunderts gehören Bibl. Nat. fr. 1561,
eine nicht ganz vollständige, etwas durcheinander geheftete Handschrift mit 23 Miniaturen, Rosenthal
Cod. A mit 22 Miniaturen, nicht ganz so früh anzusetzen, und Brit. Mus. Royal 19 B XIII; diese
schöne Handschrift, die sich schon Ende des XIV. Jahrhunderts in England befand,1 enthält 4 große
und 22 kleine Miniaturen; die entschieden gezeichnete blaue Umrahmung der ersten Textseite mit
den Drolesken, die zum Teil sehr langen, überschlanken Figuren mit den feingezeichneten dreieckigen
Brauen, den roten Flecken auf Wange und Mund und die hellbeleuchteten, starkmodellierten Falten-
berge weisen auf den Norden und auf die englische Einflußsphäre am Kanal. Ebenfalls nach dem
Norden, «an das Grenzgebiet von Paris und Flandern»2 ist die prachtvolle Vatikanische Handschrift
Urb. 376 (Fig. 3) zu setzen. Typisch nordisch sind die einfarbigen blauen und roten Hintergründe mit
den weißen Dreipunkten und den goldenen Kugeln, die spitzstachligen, scharfschnellenden Ranken der
Initialen, die Vorliebe für leichte, hochstrebende Architekturbögen über den Miniaturen, für kunstvolle
Schlingungen beim Rosenstrauch und die gerollten Zylinderfalten an den Gewändern der Personen.3

Die erste Textseite 4 all dieser genannten Handschriften, die wir zu Gruppe I zusammenfassen
wollen, zeigt den Liebenden auf seinem mit dem Kopfende nach links gestellten Lager ruhend, das
Haupt auf die rechte Hand gestützt. Zu Füßen des Bettes, hinter dem der Rosenstrauch hervorwächst,
steht Dangier, ein bärtiger Mann mit einer Keule im Arm. Die Anwesenheit eines solchen Unholdes wird
an dieser Stelle, im Eingange der Dichtung, in keiner Weise erklärt. Erst mit Vers 3o2o5 tritt er auf.
Auch im weiteren Verlaufe des Gedichtes läßt sich keine Textstelle ausfindig machen, die auf die be-
schriebene Situation Bezug haben könnte. Der Sinn des Bildes ist somit ein symbolischer. Die Rose, das
Ziel des Liebenden, und Dangier, sein grimmiger Feind, werden an den Eingang des Romans gestellt,
gleichsam um den Leser sofort mit den Grundakkorden der Dichtung zu empfangen. Der Liebende wird
schlafend dargestellt, um anzudeuten, daß es sich um die Erzählung eines Traumes handelt. Besieht
man die Miniaturen genauer, so entdeckt man auf Bibl. Nat. fr. 1564 (Fig. 4) ebenso wie auf Bibl. Nat.
fr. 24390, Fol. r, einen spitzen Judenhut auf dem Kopfe Dangiers. Eigentlich hätte es dessen gar
nicht bedurft, denn die Ähnlichkeit der Szene mit dem im XIII. und noch im XIV. Jahrhundert üblichen
Schema der Geburt Christi ist schlagend. Hier wie dort haben wir das von links nach rechts orientierte

1 Ward, Catalogue of Romances.

2 Ich verdanke diesen Hinweis der Güte des Grafen Vitzthum. Er setzt die Handschrift in die Gruppe der Sainte Benoite
des Berliner Kabinetts (a. a. O., S. 147).

3 Der Kopist nennt sich am Ende Bertaud d'Aehi (ein Dorf im Bezirke Beauvais): E. Langlois, Notices et Extraits
des Manuscrits de la Bibliotheque Nationale et des autres Bihliotheques XXX, p. 295, Note 1. In diese Gegend weist auch
der Dialekt der Anmerkungen für den Miniator am Rande.

4 Zum Vergleiche der einzelnen Handschriften untereinander greife ich aus später zu erörternden Gründen die erste
Textseite eines jeden Kodex heraus, die, wenn dieser überhaupt illustriert ist, immer eine besonders reiche Ausstattung auf-
weist. Ich nenne sie deshalb kurz die Schauseite und verwende in diesem Abschnitte die Worte Handschrift und Schauseite
gleichbedeutend.

5 Ausgabe des Roman de la Rose von Marteau.
 
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