Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

DOI Heft:
I. Teil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Kuhn, Alfred: Die Illustration des Rosenromans
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0047
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Illustration des Rosenromans.

39

genannten Handschrift. Die spitzen Nasen, die feingeringelten Locken und die harte, exakte Zeichen-
weise der Faltenzüge weisen eher nach dem Norden als nach Paris. Immerhin kann man bei dieser
Handschrift sehr geteilter Meinung sein.

Das Fitzwilliam-Museum in Cambridge bewahrt noch eine Handschrift, Ms. 168, die, wenn auch
die ganze Miniatur der Schauseite herausgeschnitten ist, dennoch nach der Anlage der Seite als eine
weitere Replik zu erkennen ist.1 Auch Arras 897, von 1370 datiert, muß hier untergebracht werden.
Die minderwertige Handschrift scheint Pariser Ursprungs zu sein. Sie stellt den Liebenden in seinem
Hause schlafend dar, dann in der Natur sich ergehend und sich im Flusse das Antlitz waschend; alles in
kontinuierender Weise.

Als direkte Weiterbildung dieser Handschriften sind die schönsten bekannten Rosenromancodices
zu nennen, z. B. Bibl. Nat. fr. 12595 (Fig. 25), ein herrliches Buch mit 60 Miniaturen, ehemals im Be-
sitze des Herzogs Jean von Berry, dessen übliche Eintragung («.Che livre est au duc de Berry, Jehan*)
trotz Radierversuchen auf Fol. 201 noch sichtbar ist.2 Das Haus des Liebenden gewinnt immer mehr an
Wahrscheinlichkeit der Erscheinung. Drei Stufen führen zum Zimmer empor, in dem der Jüngling
schläft. Ein kleiner Hof liegt davor, worin man, über die archaisch niedere Mauer blickend, den Lieben-
den am Waschgefäß beobachten kann. Noch ein drittes Mal ist er dargestellt, am Flußlaufe entlang
schreitend und damit beschäftigt, sich den linken Ärmel zuzuschnüren. Im Hintergrund ist das Tor des
Liebesgartens sichtbar und links daneben das Schloß Raisons. Die Tracht der Personen, lange, selbst-
geschlungene Sendelbinde und weitärmelige Houppelande, ist die des XV. Jahrhunderts, doch können
nur wenige Jahre seit 1400 verstrichen sein. Dies beweisen unzweifelhaft das Schachbrettmuster, die
niederen Bäumchen des Vordergrundes, der ansteigende Flußlauf und die konsistente Art der Dornblatt-
umrahmung, welch letztere übrigens Paris als Herstellungsort nahelegt. Wenig später ist Ars. Ms. 333g
anzusetzen. Die schöne Handschrift vermehrt die Phasen des Spazierganges um zwei. Der Jüngling
wäscht sich nochmals — diesmal das Gesicht — im Fluß, ganz nach Angabe des Textes, und steht dann
erstaunt vor den Lasterbildern auf der Mauer still. Das Haus hat hier keinen Hof, dafür aber einen
kleinen Vorbau, worunter das Waschgefäß untergebracht ist. Der Liebesgarten ist nach vorn gerückt.
Ganz neu ist der blaue, gegen den Horizont lichter werdende Himmel, der an die Stelle des Musters
getreten ist. Das einzelne helle Blümlein auf dem Rasen, die Vöglein in der Luft und die gelöstere
Form der Dornblattumrahmung, in der sich nur schüchtern einzelne naturalistische Pflanzenformen vor-
wagen, haben Anlaß gegeben, diese Handschrift etwas später zu datieren als die vorher besprochene;
doch wird man auch hier an Paris denken.

Anders das köstliche Exemplar der Wiener Hofbibliothek Cod. 2568 (Taf. XII). Hier macht sich
der niederländische Einschlag mehr bemerklich,3 hauptsächlich in den immer häufiger werdenden natura-
listischen Pflanzen- und.Tierformen unter der traditionellen Pariser Dornblattornamentation. Die Hand-
schrift enthält 2 große und 32 kleine Miniaturen von vorzüglicher Qualität. Landschaft und Figuren-
stil weisen auf die ersten dreißiger Jahre des XV. Jahrhunderts. Uber die Hälfte der Schauseite nimmt
die große Miniatur ein. In giotteskem Haus mit gotischen Zierformen steht unter blauen Vorhängen das
breite, jedoch diesmal leere Bett, neben dem der Jüngling in einem Stuhle sitzt, mit dem Anlegen der
Beinkleider beschäftigt. Nicht weit davon entfernt sehen wir ihn aus der Tür herausschreiten und sich
dann im Flusse das Antlitz netzen. Er ist in eine lange, pelzbesetzte Houppelande von hellroter Farbe
gekleidet und trägt eine schwarze Sendelbinde auf fester (!) Form. Sein tiefgetöntes, sympathisches Ge-
sicht ist mit größter Sorgfalt durchgebildet. Die Landschaft mit ihrem atmosphärisch leichten Himmel
bedeutet im Verhältnis zu dem bisher Gesehenen einen Fortschritt, wenn sie auch noch immer leise

1 Auf Fol. 104 v° findet sich in der Schrift vom Ende des XIV. Jahrhunderts folgende Eintragung: «Ceste livre Costa
ou palas de parys Quarantc coronnes dor sans mentir.*

2 Delisle, Recherches sur la librairie de Charles V, II, p. 267.

3 Waagen (Vornehmste Kunstdenkmäler in Wien, 1867, II, 371 ff.) hat die Handschrift als niederländisch, Wolt-
mann und Wörmann (Geschichte der Malerei II, S. 75) als französisch bezeichnet. So fungierte sie auch im Kataloge der
Miniaturenausstellung der k. k. Hofbibliothek 1902 (Nr. 142).
 
Annotationen