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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

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I. Teil: Abhandlungen
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Kuhn, Alfred: Die Illustration des Rosenromans
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https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0051
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Die Illustration des Rosenromans.

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dazu noch die unzweifelhaft sehr oft geübte Teilung von Miniatur und Umrahmung unter verschiedene
Arbeiter, so begreift man die Verwirrung, die auf diesem Gebiete herrscht und auch weiter herrschen
wird. Deshalb ist jede Lokalisierung, zumal wenn es sich um Werke zweiten Ranges han-
delt, mit Vorbehalt zu machen und muß ebenso aufgenommen werden. Selbst wenn einmal
mehr Material publiziert ist, werden wir nicht viel weiter kommen. Im großen und ganzen wäre es
schon ein Gewinn, wenn wir hier unsere Unfähigkeit einsehen und sie auch offen aussprechen würden.

Gruppe VI ist ein Schulbeispiel für ein Pariser Atelier, wie wir es geschildert haben. Die verschie-
densten Einflüsse strömen da zusammen, um am Ende, gegen Anfang des letzten Drittels des XIV. Jahr-
hunderts, vollständig von typisch Pariserischem aufgesogen zu werden. Die ältesten hier zu nennenden
Codices stammen aus der Mitte des XIV. Jahrhunderts. Bibl. Nat. fr. 1560, Ars. 5209, Rosenthal Cod. B,
Bibl. Nat. fr. 19157 und 24388, Ars. Ms. 5226, Chantilly Ms. 664 (Fig. 26). Mehr als die obere Hälfte der
Schauseite nehmen vier unter sich getrennte, aber von gemeinsamem Rahmen umschlossene Miniaturen
ein: I. Der Liebende auf seinem Lager, zu seinen Füßen Dangier (Bibl. Nat. fr. 19157 und 24388 [Fig. 27]
lassen letzteren weg). II. Der Liebende zieht sich, auf dem Fußende seines Bettes sitzend, die Schuhe
an (Ars. Ms. 5209 und Bibl. Nat. fr. 24388 stellen ihn vor einem Waschtischchen sitzend dar). III. Der
Liebende wandert durch die Natur, die durch 3—6 Bäume charakterisiert ist (Rosenthal Cod. B: Der
Liebende folgt dem Flußlauf). IV. Der Liebende kommt vor die Mauer des Gartens (Bibl. Nat. fr. 1560:
Der Liebende folgt dem Flußlauf; Chantilly Ms. 664 und Ars. Ms. 5226: Der Liebende spricht mit
Oyseuse vor dem Liebesgarten; Bibl. Nat. fr. 24,388: Der Liebende geht in das Tor des Gartens hinein).
Schon aus dieser Zusammenstellung ist die unentwirrbare verwandtschaftliche Verknüpfung der Hand-
schriften ersichtlich, die nur durch ein gemeinsames Atelier erklärt werden kann. Die Umrahmung der
Schauseite besteht aus einer an der Initiale beginnenden Dornblattleiste, welche die Seite unten und
rechts umfaßt. Links liegt lose ein Ergänzungsstück. Am Kopf des Blattes laufen diese beiden Leisten
in geschwungenen Dornblattranken aus. Bibl. Nat. fr. 1560 und fr. 24388, Ars. Ms. 5209 und Rosenthal
Cod. B zeigen gezahnte Medaillons mit Phantasieköpfen, Bibl. Nat. fr. 19157 mit eingemalten Wappen
auf den Leisten, wie solche in der englischen Einflußsphäre häufig sind, die übrigen Handschriften
haben Pariser Dornblattverzierungen. In Bibl. Nat. fr. 24389 findet sich eine Droleske, in Ars. Ms. 5226
eine Hasenjagd und in Bibl. Nat. fr. 19157 eine Hirschjagd auf der unteren Leiste. Was den Figurenstil
anlangt, so weisen alle Handschriften gleichermaßen dieselbe schlechte Pariser Arbeit mit einem ge-
wissen nordfranzösischen Einschlag auf; bei Ars. Ms. 5209 kann man schwanken.

Schon die genannte Handschrift Bibl. Nat. fr. 24388, an deren Explicit sich die Worte anschließen:
«Iste Uber juit a Pietro dicto Chevalier in pico Marie Parisiensis, a me suscripto St. Rcmensis»,1 hatte
um die vier einzelnen Miniaturen der Schauseite Vierpaßumrahmungen in den Farben zinnober-weiß-
blau gehabt,2 was zu der Vermutung veranlaßte, die dreifarbige Umrahmung der Vierpässe sei das
Zeichen eines Pariser Ateliers. Die folgenden Handschriften scheinen dies zu bestätigen, so Bibl. Nat.
fr. 1565 mit dem Datum 1352, in der sich «englische» Medaillons mit «Pariser» Dornblattumrahmung
vereinigen, oder Cors. Coli. 55 K. 4 oder das schöne Exemplar der Genfer Kantonalbibliothek Ms. 178
(Fig. 28). Auf Fol. 190 v° stehen da die Worte: <Girart de Biaulieu, clerc de S. Sauveur de Paris a escript
cest livre. Dieus le gart. Et fu parfait Van cinquante frofs.»3 Die Medaillons haben hier die Zacken
verloren und sind ebenfalls zu farbig geränderten Vierpässen geworden. Die Faktur der Dornblattver-
zierungen an den Leisten und die beiden geflammten Spiralmuster auf den Hintergründen der Schau-
seite bestätigen die durch die Eintragung des Kopisten nahegelegte Pariser Provenienz der Hand-
schrift.

Brüssel, Bibl. Roy. Ms. 9577 und Ms. 111874 sind um dieselbe Zeit entstanden. Die Medaillons,
die letzten Erinnerungen an nordfranzösische Herkunft, fehlen der Handschrift. Gefederte Ranken auf

1 Delisie, Recherches I, p. 64.

2 Von außen nach innen gezählt.

3 D. h. im Jahre 1353.

4 Die Handschrift ist auseinandergerissen und in zwei Bände gebunden.

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