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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

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I. Teil: Abhandlungen
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Kuhn, Alfred: Die Illustration des Rosenromans
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https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0059
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Die Illustration des Rosenromans.

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den Zyklus einer profanen, ja mehr als profanen Dichtung für das Hauptbild ein verbrei-
tetes sakrales Schema als Unterlage benützte.

Es wird sich nun darum handeln, die übrigen Miniaturen daraufhin durchzusehen, ob hier nur
eine Zufälligkeit vorliegt oder ob man von einem System wird sprechen können. Natürlich dürfen wir
uns nicht verleiten lassen, für jedes Bildchen eine
Vorlage zu suchen, sondern wir werden die Illu-
strationen von vornherein in drei Arten einzuteilen
haben:

1. Die Art der einfachsten Darstellungen; das
sind solche, die Gespräche vorstellen sollen, z. B.:
Ami und der Liebende, Bel-Accueil und der Lie-
bende, Raison und der Liebende, die Alte und
Bel-Accueil, Dieu d'Amour und der Liebende,
Dieu d'Amour und Bel-Accueil, Richesse und der
Liebende etc. In diesem Falle sind der Liebende,
Ami, Bel-Accueil junge Männer, je nach der Ent-
stehungszeit des Codex im Kostüm des XIII.,
XIV. oder XV. Jahrhunderts; Dieu d'Amour ist
ein König mit der Krone auf dem Haupte und
Richesse, Raison und Venus sind Königinnen. Die
Figuren könnten ebenso gut in einem anderen Fig. 34. Durete": Roman de Fauvel.
Roman oder in einer illustrierten Bibel VOrkom- Paris, Bibliotheque Nationale, francais 146, fol. 140 v°.
men; sie stehen nebeneinander und agieren, wenn

sie keine Handschuhe halten, heftig mit beiden Händen. Je minderwertiger ein Codex ist, oder besser
gesagt, je billiger er anscheinend hat hergestellt werden sollen, um so häufiger finden sich diese «ein-
fachsten Darstellungen». Bei dieser Art von Illustratio-
nen dürfen wir natürlich keine Vorbilder erwarten.

2. Die Art der typischen Rosenromandarstellungen;
das sind solche, die allein dem Rosenroman angehören
können, die aus den gegebenen, völlig neuen Situatio-
nen entstanden sind und deshalb schlechterdings erfun-
den werden mußten, z. B.: Der Liebende blickt in die
Quelle des Narcissus, der Liebende erblickt in der Quelle
das Bild der Rose, Dieu d'Amour verschließt das Herz
des Liebenden, Bel-Accueil erlaubt dem Liebenden, die
Rose zu küssen, Dangier jagt den Liebenden aus dem
Garten heraus, Faux-Semblant und Contrainte-Abstinence
schneiden dem Male-Bouche die Zunge aus etc. Auch
hier können keine Vorbilder gesucht werden, wenigstens
keine direkten.

3. Die Darstellungen, die im Gegensatz zu einer im ,,. , , . n . , . . „

0 ' D Fig. 35. Amiens, Portalgewande der Kathedrale.

Text ausführlich beschriebenen Situation ein völlig ande-
res, aber in sich ausgebautes Bild zeigen, und alle jene Darstellungen, die, ohne irgendwie Hilfe aus
dem Texte ziehen zu können, trotzdem zu Bildern gelangt sind. Mit dieser letzten Art werden wir uns
zu beschäftigen haben; denn hier ist ein Einfluß von außen her anzunehmen.

Die Lasterbilder auf der Mauer des Liebesgartens im Anfange des Romans bieten gute Beispiele.
Es wird sich empfehlen, Textstellen und Miniaturen zum Vergleiche nebeneinander zu stellen.

7*
 
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