Die Illustration des Rosenromans.
57
nur ein einziges Mal, in Nat. Bibl. fr. 378, ist das Motiv richtig übernommen, in allen anderen Fällen ist
es mißverstanden und entstellt.
Aber nicht nur unter den Schauseiten und den Lasterdarstellungen lassen sich Beziehungen zur
sakralen Kunst finden, auch der übrige Text bietet manches Derartige. Wenn sich z. B. Dieu d'Amour1
oder in einer anderen Handschrift
yniaQx qf ä)iec mo o» qr- ciieow- iv\ompw.
Raison in die Lüfte erhebt und
nur die Beine am oberen Rande
des Bildchens sichtbar bleiben, so
denkt man unwillkürlich an Ma-
rias Entschwinden auf den Himmel-
fahrtsdarstellungen des XIV. Jahr-
hunderts.2
Oder wenn man die in fast
allen Handschriften oft zwei- bis
dreimal eingeschobenen Miniatu-
ren tJehan de Meung am Pult»
oder «Guillaume de Lorris am
Pult», die sich übrigens meist alle
gleichen, betrachtet, so wird wohl
niemand behaupten wollen, man
habe es hier mit den Porträten der
Verfasser zu tun. Ja sogar die Zeit-
genossen haben es kaum geglaubt.
Das sind eben Klischees, die, aus
den «Autorenbildern» der Antike
hervorgegangen,3 sich mit gerin-
gen Abwandlungen im Mittelalter als Evangelisten erhielten4 und im XIV. Jahrhundert wahllos für das
eine oder das andere verwertet wurden.
Auch die Beilagerbilder, die hier5 unter der Flagge «Nature en sa Forge» segeln, weisen wir unter
die Klischees. Sie haben nicht das geringst« mit dem Texte zu tun, der Nature ganz persönlich auf-
gefaßt wissen will,6 sind aber sowohl auf Elfenbeinen7 als auch in Handschriften aller Art sehr beliebt.
Das Glücksrad, das römischen Ursprungs ist,8 der antiken wie frühchristlichen Literatur bekannt war,
a-vn *t^vv4 .jjou die
Fig. 39. Echte und falsche Frömmigkeit. Somme le Roy: Paris,
Bibliotheque Nationale, francais 189;, fol. 77.
1 Bibl. Nat. fr. 24389, Fol. 19 v°.
2 Z. B. Elfenbein Cluny Nr. 1074 oder Bibl. Nat. fr. 155. Fol. 174 (Bible historie'e), Bibl. Nat. fr. 10,435, Fol. 54 v°
(Psalter des XIII. Jahrhunderts). Siehe auch E. Male, L'Art religieux de la Fin du Moyen-Age en France (1908), p. 53.
3 G. Swarzenski, Mittelalterliche Kopien einer antiken medizinischen Bilderhandschrift: Jahrbuch des kais. archäol.
Instituts, Bd. XVII, S. 49 ff. Codices e Vaticanis selecti, Vol. II, Taf. II, IV, VI.
4 Trierer Ada-Handschrift (Leipzig 1889), Taf. X, XX, XXVI etc. Wien, Hofbibl. Suppl. graec. 50* (byzant., X. Jahrh.),
Fol. 24 v°, 99 v°, 159 v°, 244 v°. Wien, Hofbibl. Theol. Graec. 240 (byzant, XI. Jahrh.), Fol. 14 v°, 87 v°, i36 v°, 219 v°.
Wien, Hofbibl., Cod. 1244 (deutsch, XII. Jahrh.), Fol. 28 v° etc.
5 Bibl. Nat. fr. 12593, Fol. 116; 24388, Fol. 102; 1565, Fol. 104 v°. Wien, Hofbibl., Cod. 2592.
6 Marteau, Vers 16559:
«Nature qui pensoit des choses
Qui sunt desouz le ciel encloses,
Dedens sa forge entree estoit,
Oü toute s'entente metoit,
A forgier sitigulieres picces
Por continuer les espieces.*
Siehe z. B. Bibl. Nat. fr. 24392, Fol. 129: Nature, einen Hammer in der Hand, steht vor einem Amboß. Sie schmiedet
wohl auch ein Menschlein, so in Brit. Mus. Egerton 881.
' Louvre, Sammlung Sauvageot, Nr. 69.
8 Daremberg et Saglio, Dictionnaire des Antiquites grecques et romaines II, 2, p. 1277.
XXXI. 8
57
nur ein einziges Mal, in Nat. Bibl. fr. 378, ist das Motiv richtig übernommen, in allen anderen Fällen ist
es mißverstanden und entstellt.
Aber nicht nur unter den Schauseiten und den Lasterdarstellungen lassen sich Beziehungen zur
sakralen Kunst finden, auch der übrige Text bietet manches Derartige. Wenn sich z. B. Dieu d'Amour1
oder in einer anderen Handschrift
yniaQx qf ä)iec mo o» qr- ciieow- iv\ompw.
Raison in die Lüfte erhebt und
nur die Beine am oberen Rande
des Bildchens sichtbar bleiben, so
denkt man unwillkürlich an Ma-
rias Entschwinden auf den Himmel-
fahrtsdarstellungen des XIV. Jahr-
hunderts.2
Oder wenn man die in fast
allen Handschriften oft zwei- bis
dreimal eingeschobenen Miniatu-
ren tJehan de Meung am Pult»
oder «Guillaume de Lorris am
Pult», die sich übrigens meist alle
gleichen, betrachtet, so wird wohl
niemand behaupten wollen, man
habe es hier mit den Porträten der
Verfasser zu tun. Ja sogar die Zeit-
genossen haben es kaum geglaubt.
Das sind eben Klischees, die, aus
den «Autorenbildern» der Antike
hervorgegangen,3 sich mit gerin-
gen Abwandlungen im Mittelalter als Evangelisten erhielten4 und im XIV. Jahrhundert wahllos für das
eine oder das andere verwertet wurden.
Auch die Beilagerbilder, die hier5 unter der Flagge «Nature en sa Forge» segeln, weisen wir unter
die Klischees. Sie haben nicht das geringst« mit dem Texte zu tun, der Nature ganz persönlich auf-
gefaßt wissen will,6 sind aber sowohl auf Elfenbeinen7 als auch in Handschriften aller Art sehr beliebt.
Das Glücksrad, das römischen Ursprungs ist,8 der antiken wie frühchristlichen Literatur bekannt war,
a-vn *t^vv4 .jjou die
Fig. 39. Echte und falsche Frömmigkeit. Somme le Roy: Paris,
Bibliotheque Nationale, francais 189;, fol. 77.
1 Bibl. Nat. fr. 24389, Fol. 19 v°.
2 Z. B. Elfenbein Cluny Nr. 1074 oder Bibl. Nat. fr. 155. Fol. 174 (Bible historie'e), Bibl. Nat. fr. 10,435, Fol. 54 v°
(Psalter des XIII. Jahrhunderts). Siehe auch E. Male, L'Art religieux de la Fin du Moyen-Age en France (1908), p. 53.
3 G. Swarzenski, Mittelalterliche Kopien einer antiken medizinischen Bilderhandschrift: Jahrbuch des kais. archäol.
Instituts, Bd. XVII, S. 49 ff. Codices e Vaticanis selecti, Vol. II, Taf. II, IV, VI.
4 Trierer Ada-Handschrift (Leipzig 1889), Taf. X, XX, XXVI etc. Wien, Hofbibl. Suppl. graec. 50* (byzant., X. Jahrh.),
Fol. 24 v°, 99 v°, 159 v°, 244 v°. Wien, Hofbibl. Theol. Graec. 240 (byzant, XI. Jahrh.), Fol. 14 v°, 87 v°, i36 v°, 219 v°.
Wien, Hofbibl., Cod. 1244 (deutsch, XII. Jahrh.), Fol. 28 v° etc.
5 Bibl. Nat. fr. 12593, Fol. 116; 24388, Fol. 102; 1565, Fol. 104 v°. Wien, Hofbibl., Cod. 2592.
6 Marteau, Vers 16559:
«Nature qui pensoit des choses
Qui sunt desouz le ciel encloses,
Dedens sa forge entree estoit,
Oü toute s'entente metoit,
A forgier sitigulieres picces
Por continuer les espieces.*
Siehe z. B. Bibl. Nat. fr. 24392, Fol. 129: Nature, einen Hammer in der Hand, steht vor einem Amboß. Sie schmiedet
wohl auch ein Menschlein, so in Brit. Mus. Egerton 881.
' Louvre, Sammlung Sauvageot, Nr. 69.
8 Daremberg et Saglio, Dictionnaire des Antiquites grecques et romaines II, 2, p. 1277.
XXXI. 8