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Alfred Kuhn.
aber erst im XII. Jahrhundert langsam in die bildende Kunst überging, soll hier nicht besprochen wer-
den. Es ist von kunsthistorischer 1 wie literarischer Seite 2 eingehend darüber gehandelt worden. Daß es
trotz der spärlichen Angaben, die der Text bietet, — tele (fortune) a une roe qui torne-» — in so vielen
Handschriften des Rosenromans vorkommt, ist wohl aus der damaligen großen Verbreitung der Dar-
stellung in Handschriften kirchlichen Inhalts, wie hauptsächlich in den vielen Codices der Cite de
Dieu,3 in der fast allen Rosenromanhandschriften angehefteten Consolatio Philosophiae des Boethius
und auch in mancherlei Profanhandschriften 4 zu erklären.
Zum Schlüsse wollen wir noch der beiden «kämpfenden Reiter» gedenken, die als Darstellung der
Schlacht zwischen Karl von Anjou und Manfred in keiner besseren Handschrift fehlen dürfen.5 Wir
setzen die Ausführungen von Julius v. Schlosser zu einem solchen Reiterkampf (Schlacht von Mühl-
dorf) des deutschen Machzor vom Anfang
des XIV. Jahrhunderts bei D. Kaufmann
in Budapest6 wörtlich hierher: «Der Albani-
psalter bringt in seiner Wortillustration zum
ersten Psalme, der den Kampf wider das
Böse schildert, zwei gewappnete, gegen ein-
ander anstürmende Ritter. Derartige kämp-
fende Reiterpaare sind ein ungemein häufi-
ges Motiv in der kirchlichen Skulptur des
XII. Jahrhunderts. Schon Bernhard von
Clairvaux nennt in seiner berühmten Phi-
lippica wider die romanische Dekoration
auch die milites pugnantes.» Hat sich also
auch der jüdische Miniator noch im Bann-
kreise der christlichen Kunst befunden, wie
viel einleuchtender ist es noch, daß die
kaum den Klostermauern entflohene Illu-
mination noch lange die Zeichen ihrer Her-
Fig. 40. Haine: Wien, k. k. Hofbibliothek, Cod. 2568, fol. 2. kunft an sich trug.
Erst viel später, im Grunde eigent-
lich erst mit dem XV. Jahrhundert, tritt eine durchgreifende Wandlung ein. Die Laster werden nicht
mehr in Aktion dargestellt, wie es die Kathedralskulptur des XIII. Jahrhunderts gelehrt hatte. Felonie
läßt ab, den jungen Mann zu treten, Avarice und Couvoitise wühlen nicht mehr in ihren Geldkisten,
Vieillesse wird vom warmen Feuer weggeholt und Papelardie behält wohl ihren Psalter, doch kniet
sie nicht mehr vor dem Altar. Wie der Text es vorschreibt, werden die häßlichen Geschöpfe jetzt in
Nischen gestellt (Fig. 40). Da stehen oder sitzen sie gelangweilt herum und versuchen, in wütend ver-
zerrten Gesichtern ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.7 Auch sonst tritt dann immer mehr eigene,
frische Anschauung an die Stelle des traditionell Übernommenen, wenn auch noch lange gewisse Über-
bleibsel mitgeschleppt werden.
1 G. Heider, Das Glücksrad und dessen Anwendung in der christlichen Kunst: Mitteilungen der k. k. Zentralkom-
mission 1859, Nr. 5.
2 Stanley Lorrain Galpin, Fortunes wheel in the Roman de la Rose: Publications of the modern language associa-
tion of America, Baltimore 190g, p. 332 ff.
1 Delaborde, Les Manuscrits ä Peinture de la Cite de Dieu 1909.
* Roman de Fauvel von i3i6: Bibl. Nat. fr. 2195, Fol. 156 v°; Les Dits de Wattriquet: Ars. 3525, Fol. 159.
5 Wien, Hofbibl. Cod. 2592, Fol. 48. Bibl. Nat. fr. 12595, Fol. 50 v°; 1560, Fol. 45 v°; 1565, Fol. 45 v°; 24388,
Fol. 48 v°; 25526, Fol. 116; 24392, Fol. 53.
6 Die Haggadah von Sarajewo von D. H. Müller und J. v. Schlosser (1898), Taf. VII, S. 235.
' Bibl. Nat. fr. 24392, 38o, 12595, 19153,805, 12596; Brit. Mus. Egerton Ms. 1069, 2022; Brit. Mus. Harley Ms. 4425;
Arras Ms. 897 etc.
Alfred Kuhn.
aber erst im XII. Jahrhundert langsam in die bildende Kunst überging, soll hier nicht besprochen wer-
den. Es ist von kunsthistorischer 1 wie literarischer Seite 2 eingehend darüber gehandelt worden. Daß es
trotz der spärlichen Angaben, die der Text bietet, — tele (fortune) a une roe qui torne-» — in so vielen
Handschriften des Rosenromans vorkommt, ist wohl aus der damaligen großen Verbreitung der Dar-
stellung in Handschriften kirchlichen Inhalts, wie hauptsächlich in den vielen Codices der Cite de
Dieu,3 in der fast allen Rosenromanhandschriften angehefteten Consolatio Philosophiae des Boethius
und auch in mancherlei Profanhandschriften 4 zu erklären.
Zum Schlüsse wollen wir noch der beiden «kämpfenden Reiter» gedenken, die als Darstellung der
Schlacht zwischen Karl von Anjou und Manfred in keiner besseren Handschrift fehlen dürfen.5 Wir
setzen die Ausführungen von Julius v. Schlosser zu einem solchen Reiterkampf (Schlacht von Mühl-
dorf) des deutschen Machzor vom Anfang
des XIV. Jahrhunderts bei D. Kaufmann
in Budapest6 wörtlich hierher: «Der Albani-
psalter bringt in seiner Wortillustration zum
ersten Psalme, der den Kampf wider das
Böse schildert, zwei gewappnete, gegen ein-
ander anstürmende Ritter. Derartige kämp-
fende Reiterpaare sind ein ungemein häufi-
ges Motiv in der kirchlichen Skulptur des
XII. Jahrhunderts. Schon Bernhard von
Clairvaux nennt in seiner berühmten Phi-
lippica wider die romanische Dekoration
auch die milites pugnantes.» Hat sich also
auch der jüdische Miniator noch im Bann-
kreise der christlichen Kunst befunden, wie
viel einleuchtender ist es noch, daß die
kaum den Klostermauern entflohene Illu-
mination noch lange die Zeichen ihrer Her-
Fig. 40. Haine: Wien, k. k. Hofbibliothek, Cod. 2568, fol. 2. kunft an sich trug.
Erst viel später, im Grunde eigent-
lich erst mit dem XV. Jahrhundert, tritt eine durchgreifende Wandlung ein. Die Laster werden nicht
mehr in Aktion dargestellt, wie es die Kathedralskulptur des XIII. Jahrhunderts gelehrt hatte. Felonie
läßt ab, den jungen Mann zu treten, Avarice und Couvoitise wühlen nicht mehr in ihren Geldkisten,
Vieillesse wird vom warmen Feuer weggeholt und Papelardie behält wohl ihren Psalter, doch kniet
sie nicht mehr vor dem Altar. Wie der Text es vorschreibt, werden die häßlichen Geschöpfe jetzt in
Nischen gestellt (Fig. 40). Da stehen oder sitzen sie gelangweilt herum und versuchen, in wütend ver-
zerrten Gesichtern ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.7 Auch sonst tritt dann immer mehr eigene,
frische Anschauung an die Stelle des traditionell Übernommenen, wenn auch noch lange gewisse Über-
bleibsel mitgeschleppt werden.
1 G. Heider, Das Glücksrad und dessen Anwendung in der christlichen Kunst: Mitteilungen der k. k. Zentralkom-
mission 1859, Nr. 5.
2 Stanley Lorrain Galpin, Fortunes wheel in the Roman de la Rose: Publications of the modern language associa-
tion of America, Baltimore 190g, p. 332 ff.
1 Delaborde, Les Manuscrits ä Peinture de la Cite de Dieu 1909.
* Roman de Fauvel von i3i6: Bibl. Nat. fr. 2195, Fol. 156 v°; Les Dits de Wattriquet: Ars. 3525, Fol. 159.
5 Wien, Hofbibl. Cod. 2592, Fol. 48. Bibl. Nat. fr. 12595, Fol. 50 v°; 1560, Fol. 45 v°; 1565, Fol. 45 v°; 24388,
Fol. 48 v°; 25526, Fol. 116; 24392, Fol. 53.
6 Die Haggadah von Sarajewo von D. H. Müller und J. v. Schlosser (1898), Taf. VII, S. 235.
' Bibl. Nat. fr. 24392, 38o, 12595, 19153,805, 12596; Brit. Mus. Egerton Ms. 1069, 2022; Brit. Mus. Harley Ms. 4425;
Arras Ms. 897 etc.