Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

DOI issue:
I. Teil: Abhandlungen
DOI article:
Kuhn, Alfred: Die Illustration des Rosenromans
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0071
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Illustration des Rosenromans.

63

werden. Wie wenig er dazu imstande war, zeigt das sinnlose Gefuchtel derselben, das uns hier, wie so
oft in Handschriften von mäßiger Güte, entgegentritt.

Zumeist ist die Bewegung der Personen auf den Skizzen bedeutend kraftvoller und lebendiger als
auf den Miniaturen. Auf Fol. 62 v° (Fig. 41 und 42): «Der Eifersüchtige schlägt seine Frau, zwei Per-
sonen sehen zu», ist die Bewegung des Zurückhaltenwollens, die der hinter dem Gatten stehende Freund
ausführt, vollständig weggefallen. Sein rechter Arm verschwindet jetzt hinter dem Körper des Ehe-
mannes, ohne daß man wüßte, warum; die linke Hand des Eifersüchtigen, die auf der Skizze die Frau mit
kräftiger Gebärde am Schopf packt,
liegt schlaff auf. Die zuschauende
weibliche Person weiß nichts Besseres
zu tun, als die Hände «sprechend» zu
erheben.

Es kam aber auch vor, daß der
Arbeiter seinen Meister falsch ver-
stand oder aus Unachtsamkeit Wichti-
ges wegließ. Dafür bietet uns Fol. 85 v°
(Fig. 43) den Beleg. Darzustellen war
die Ubergabe des Kranzes an Bel-
Accueil durch die Alte. Der Meister
deutete dies auch ganz richtig, sogar
mit viel Verve an. In der Miniatur
blieb der Kranz weg. Jetzt stehen sich
die beiden Frauen wiederum in «be-
wegtem Spiel der Hände» gegenüber.
Diese Beispiele werden genügen; die
Handschrift ist voll davon.

In Bibl. Nat. fr. 1558 (Fig. 44
und 45) haben wir es mit weniger geistvollen Skizzen, aber mit einem tüchtigeren Arbeiter zu tun.
Auch hier geben nur wenige Striche die Intentionen des Meisters wieder, immerhin genügend, um
dem Wissenden die Wege zu weisen. So auf Fol. 14 ein Bogen: Dieu d'Amour schießt auf den Lieben-
den. Der Arbeiter ging jedoch hier über die Weisung des Meisters hinaus. Er zeichnete den Liebenden,
den Pfeil im linken Auge und Dieu d'Amour mit abgeschossenem Bogen davor. Ob wir einen Arbeiter
annehmen sollen, der seinen Text kannte und deshalb diesen höchst verständlichen Ausbau der Szene
vornahm, oder ob man es nur mit einer kleinen Variante der auf Elfenbeinen so beliebten Szene: «Der
Liebesgott schießt vom Baum herab in die Augen zweier Liebenden» zu tun hat, wollen wir dahin-
gestellt sein lassen.1

Zusammenfassung.

Der Übersichtlichkeit halber soll nochmals das Vorstehende zusammengefaßt werden.

Ganz im Banne der symbolischen Darstellungsweise wurde im XIII. Jahrhundert der Rosenroman
illustriert. Wenn möglich, erborgte man dazu die Schemata der sakralen Kunst, wo sich ein bestimmter
Darstellungskreis im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet hatte und wo feststehende Klischees für ein-
zelne oft gebrauchte Sujets bestanden.2 Im Norden Frankreichs in seinen Grundzügen schon festgelegt,

1 Durrieu und Berger (Les Notes pour l'Enlumineur dans les Manuscrits du Moyen-Age: Memoires de la Societe
des Antiquaires de France 18g3, p. 14) erzählen von einem Miniator, der die fehlerhafte schriftliche Anweisung unberück-
sichtigt ließ und seine Bildchen sinngemäß ausführte.

2 J. v. Schlosser, Zur Kenntnis der künstlerischen Überlieferung im späten Mittelalter: Jahrbuch der kunsthistorischen
Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses XXIII, S. 27g.
 
Annotationen