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Julius von Schlosser.
war, wurde neben anderen hervorragenden Objekten auch eine kleine Holzgruppe für das Wiener Hof-
museum erworben, auf deren Erlangung der Schreiber dieser Zeilen besonderen Wert legte, nicht so sehr
der künstlerischen Qualitäten des Werkchens halber, das in seiner herzlich vertrackten Formengebung
dem modernen, von ganz anderen Voraussetzungen bestimmten Geschmack gröblich widerspricht, als
um seiner stilgeschichtlichen Bedeutung willen. Für die Schätzung, der Stücke solcher Art in Lieb-
haberkreisen unterliegen, war es denn auch recht bemerkenswert, daß die Gruppe, im Unterschied zu
den sonstigen maßlos überspannten Preisen, die auf
der Auktion erzielt wurden, für einen verhältnis-
mäßig recht bescheidenen Kaufschilling erstanden
werden konnte.
Sie stellt zwei völlig nackte Figuren, Mann
und Weib, dar, sauber in Buchsholz geschnitten,
das mit der Zeit eine schöne warme, rötlichbraune
Oberfläche erhalten hat. Es handelt sich um eine
Variation eines in älterer Kunst viel behandelten
Themas, einen Frauenraub, bei dem die Plastik
unter wechselnden klassischen Etiketten ihrer Nei-
gung zum reinen Akt und zum Kontrapost des weib-
lichen und männlichen Körpers in heftig ausbre-
chender Bewegung nachhängen konnte. Äußerlich
ist die Gruppe, die ungefähr 32*5 cm hoch ist, im
ganzen wohl erhalten und intakt bis auf die in ge-
ringerem Material angesetzte linke Hand des Mäd-
chens, die indessen nach dem Vorbild der noch er-
haltenen Rechten ganz geschickt kopiert ist; alt ge-
brochen und angesetzt, doch, wie es scheint, mit den
ursprünglichen Stücken, sind auch der linke Fuß der
genannten Figur sowie der über die Standfläche
vorragende linke Fuß des Jünglings. Ein Riß, der
durch die ganze linke Rückenpartie des Letzteren
geht, ist alt ausgespänt, ebenso ein gleicher am
rechten Oberschenkel des Mädchens. Auch durch
die rechte Schulter des Mannes läuft ein alter Sprung.
An der Unterseite der Standplatte stehen ein paar
ältere Inventarnummern, die zeigen, daß das Stück
schon durch verschiedene Sammlungen gewandert
ist. Eine Abbildung in Lichtdruck, doch ohne alle
näheren Angaben, wurde vor mehreren Jahren in
einem bei Bellmann in Prag erschienenen Heft
(Sammlung Lanna in Prag, Auswahl von Arbeiten
in kleiner Plastik II, 1907, auf Tafel XXII) veröffentlicht; in die Literatur ist das Werkchen, so viel
mir bekannt ist, noch nicht eingeführt worden.
Der Jüngling ist eine kräftige, untersetzte, schon leicht zur Fülle neigende Gestalt, von Verhält-
nissen, die sich recht weit vom antiken und südlichen Kanon entfernen. Es ist etwas Schwammiges,
Untrainiertes in diesem Körper; durch die Hebung der linken Hüfte entsteht ein Fettwulst an dieser
Stelle; auch am Bauche und über dem Gesäß zeigt sich etliche Fettansammlung. Nicht minder ist die
Art charakteristisch, mit der die Finger der Frau sich in das weiche Fleisch des Oberarmes eindrücken
und die Haut in Falten emporziehen. Im übrigen ist der Körper mit tüchtigem Verständnis und beträcht-
lichem Können auf das Muskelspiel über dem Knochengerüst hin durchmodelliert; im Angeben natura-
Fig. 2. Hans Vischer, Schreitender Jüngling.
Wien, Hofmiiseum.
Julius von Schlosser.
war, wurde neben anderen hervorragenden Objekten auch eine kleine Holzgruppe für das Wiener Hof-
museum erworben, auf deren Erlangung der Schreiber dieser Zeilen besonderen Wert legte, nicht so sehr
der künstlerischen Qualitäten des Werkchens halber, das in seiner herzlich vertrackten Formengebung
dem modernen, von ganz anderen Voraussetzungen bestimmten Geschmack gröblich widerspricht, als
um seiner stilgeschichtlichen Bedeutung willen. Für die Schätzung, der Stücke solcher Art in Lieb-
haberkreisen unterliegen, war es denn auch recht bemerkenswert, daß die Gruppe, im Unterschied zu
den sonstigen maßlos überspannten Preisen, die auf
der Auktion erzielt wurden, für einen verhältnis-
mäßig recht bescheidenen Kaufschilling erstanden
werden konnte.
Sie stellt zwei völlig nackte Figuren, Mann
und Weib, dar, sauber in Buchsholz geschnitten,
das mit der Zeit eine schöne warme, rötlichbraune
Oberfläche erhalten hat. Es handelt sich um eine
Variation eines in älterer Kunst viel behandelten
Themas, einen Frauenraub, bei dem die Plastik
unter wechselnden klassischen Etiketten ihrer Nei-
gung zum reinen Akt und zum Kontrapost des weib-
lichen und männlichen Körpers in heftig ausbre-
chender Bewegung nachhängen konnte. Äußerlich
ist die Gruppe, die ungefähr 32*5 cm hoch ist, im
ganzen wohl erhalten und intakt bis auf die in ge-
ringerem Material angesetzte linke Hand des Mäd-
chens, die indessen nach dem Vorbild der noch er-
haltenen Rechten ganz geschickt kopiert ist; alt ge-
brochen und angesetzt, doch, wie es scheint, mit den
ursprünglichen Stücken, sind auch der linke Fuß der
genannten Figur sowie der über die Standfläche
vorragende linke Fuß des Jünglings. Ein Riß, der
durch die ganze linke Rückenpartie des Letzteren
geht, ist alt ausgespänt, ebenso ein gleicher am
rechten Oberschenkel des Mädchens. Auch durch
die rechte Schulter des Mannes läuft ein alter Sprung.
An der Unterseite der Standplatte stehen ein paar
ältere Inventarnummern, die zeigen, daß das Stück
schon durch verschiedene Sammlungen gewandert
ist. Eine Abbildung in Lichtdruck, doch ohne alle
näheren Angaben, wurde vor mehreren Jahren in
einem bei Bellmann in Prag erschienenen Heft
(Sammlung Lanna in Prag, Auswahl von Arbeiten
in kleiner Plastik II, 1907, auf Tafel XXII) veröffentlicht; in die Literatur ist das Werkchen, so viel
mir bekannt ist, noch nicht eingeführt worden.
Der Jüngling ist eine kräftige, untersetzte, schon leicht zur Fülle neigende Gestalt, von Verhält-
nissen, die sich recht weit vom antiken und südlichen Kanon entfernen. Es ist etwas Schwammiges,
Untrainiertes in diesem Körper; durch die Hebung der linken Hüfte entsteht ein Fettwulst an dieser
Stelle; auch am Bauche und über dem Gesäß zeigt sich etliche Fettansammlung. Nicht minder ist die
Art charakteristisch, mit der die Finger der Frau sich in das weiche Fleisch des Oberarmes eindrücken
und die Haut in Falten emporziehen. Im übrigen ist der Körper mit tüchtigem Verständnis und beträcht-
lichem Können auf das Muskelspiel über dem Knochengerüst hin durchmodelliert; im Angeben natura-
Fig. 2. Hans Vischer, Schreitender Jüngling.
Wien, Hofmiiseum.