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Julius von Schlosser.
Herrn ins Ohr dröhnt: «Wo ist Abel, dein Bruder?» Das wäre also die psychologische Bedeutung des
komplizierten plastischen Motivs. Freilich ist die urtümlich und barbarisch grandiose, in Lapidarzügen
hingesetzte Szene des alten Testaments, in der zwei Kulturzeitalter aufeinander zu stoßen scheinen, ist
die prachtvolle Figur des finstern, grimmig verstockten und hinterhältigen Ackerbauers in den edlen
und kultivierten Formen einer ganz anderen, viel menschlicher empfindenden Kunst wiedergegeben
und über sie streicht fühlbar der entnervende Scirocco moderner Sentimentalität, der das Zeitalter des
Fig. 8. V. Danti, Tonmodell zum «Onore». Fig. 9. V. Danti, Onore ed Inganno.
Florenz, Bargello. Florenz, ßargello.
Torquato Tasso verkündigt. Aber gerade dadurch wird die Bronze für uns ein wertvolles Denkmal
ihrer Entstehungszeit.
Der Kain steht auf einer sonderbar geformten, Wiesengrund andeutenden Bronzebasis, die ein
sphärisches Dreieck bildet, dessen Ecken den drei Stützpunkten der Figur entsprechen. Diese drei-
eckige Basis ist sicher mit Vorbedacht gewählt; die Ecken markieren scharf die drei Hauptansichten, in
denen sich das Bewegungsmotiv am übersichtlichsten und klarsten entwickelt; die drei Seiten des Dreiecks
ergeben die Nebenansichten. Wir werden also, nach einem charakteristischen Wort Hildebrandts, der-
art um die Statuette «herumgetrieben», einem ganz bestimmten aus antiker wie neuerer Zeit wohlbe-
kannten Kunstprinzip zufolge; die Figur fängt an sich zu rühren und zu beleben, als ob wir sie durch ein
Stroboskop betrachteten, und das hat der Künstler auch bewußt gewollt. Trotzdem entbehrt sie nicht
einer bestimmten Vorderansicht, in der sie sich reliefartig zusammenschließt; sie ist durch die vordere,
durch den ausschreitenden linken Fuß betonte Ecke fixiert, hier befindet sich auch ihr eigentlicher Stütz-
punkt, auf dem das ganze Gewicht des Körpers lastet. Das ist leicht begreiflich bei einer solchen Klein-
Julius von Schlosser.
Herrn ins Ohr dröhnt: «Wo ist Abel, dein Bruder?» Das wäre also die psychologische Bedeutung des
komplizierten plastischen Motivs. Freilich ist die urtümlich und barbarisch grandiose, in Lapidarzügen
hingesetzte Szene des alten Testaments, in der zwei Kulturzeitalter aufeinander zu stoßen scheinen, ist
die prachtvolle Figur des finstern, grimmig verstockten und hinterhältigen Ackerbauers in den edlen
und kultivierten Formen einer ganz anderen, viel menschlicher empfindenden Kunst wiedergegeben
und über sie streicht fühlbar der entnervende Scirocco moderner Sentimentalität, der das Zeitalter des
Fig. 8. V. Danti, Tonmodell zum «Onore». Fig. 9. V. Danti, Onore ed Inganno.
Florenz, Bargello. Florenz, ßargello.
Torquato Tasso verkündigt. Aber gerade dadurch wird die Bronze für uns ein wertvolles Denkmal
ihrer Entstehungszeit.
Der Kain steht auf einer sonderbar geformten, Wiesengrund andeutenden Bronzebasis, die ein
sphärisches Dreieck bildet, dessen Ecken den drei Stützpunkten der Figur entsprechen. Diese drei-
eckige Basis ist sicher mit Vorbedacht gewählt; die Ecken markieren scharf die drei Hauptansichten, in
denen sich das Bewegungsmotiv am übersichtlichsten und klarsten entwickelt; die drei Seiten des Dreiecks
ergeben die Nebenansichten. Wir werden also, nach einem charakteristischen Wort Hildebrandts, der-
art um die Statuette «herumgetrieben», einem ganz bestimmten aus antiker wie neuerer Zeit wohlbe-
kannten Kunstprinzip zufolge; die Figur fängt an sich zu rühren und zu beleben, als ob wir sie durch ein
Stroboskop betrachteten, und das hat der Künstler auch bewußt gewollt. Trotzdem entbehrt sie nicht
einer bestimmten Vorderansicht, in der sie sich reliefartig zusammenschließt; sie ist durch die vordere,
durch den ausschreitenden linken Fuß betonte Ecke fixiert, hier befindet sich auch ihr eigentlicher Stütz-
punkt, auf dem das ganze Gewicht des Körpers lastet. Das ist leicht begreiflich bei einer solchen Klein-