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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

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I. Teil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Aus der Bildnerwerkstatt der Renaissance: Fragmente zur Geschichte der Renaissanceplastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0093
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Aus der Bildnerwerkstatt der Renaissance.

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S. Croce. Wie ernst es Vincenzo gleich seinem Meister mit der Anatomie genommen hat, beweist die
Äußerung in der Widmung seines Traktats, daß er Zeit seines Lebens nicht weniger als dreiundachtzig
Leichen selbst zerlegt habe, eine für jene Zeit, zumal bei der kurzen Lebenspanne, die ihm zugebilligt
war, erstaunliche Anzahl, ganz abgesehen von den vielen anderen Sektionen, bei denen er anwesend war
(ed. Vermiglioli, p. VIII f.). So konnte er in derselben Widmung seinen Gönner Herzog Cosimo mit
Recht aufrufen, er möge sich überzeugen, ob die Vorschriften, die er als Theoretiker der Skulptur
aufgestellt habe, nicht in seinen Werken in Praxis umgesetzt seien (a. a. O. p. IX: mediante questi miei
scritti — se voi per mia singolar virtü mai di leggerli vi degnaste — possiate conoscere se i precetti che
sopra la detta scultura mostro d'havere osservati, saranno nelle mie statue in quak he parte adempiuti).

Diesem Theoretiker Danti, dessen Spuren wir schon in einer gewissen absichtlichen Lehrhaftig-
keit der W'iener Bronze zu entdecken glauben, der aus einer geistig regsamen und gelehrten Studien
allezeit zugeneigten Familie stammt, sollen hier schließlich noch ein paar Worte gewidmet sein, um so
mehr, als diese Seite seines Wesens noch unbekannter geblieben ist als die rein künstlerische. Allerdings
ist nur das erste Buch seines großen Traktats im Druck erschienen: II Primo Libro del Trattato delle
perfette Proporzioni di tutte le cose che imitare e ritrarre si possano con 1'arte del disegno, mit Giunti-
schen Typen in Quart 1567 in Florenz gedruckt; ein schönes Exemplar aus Cicognaras Besitz (Catal.
ragionato n. 317) ist in der Vaticana. Das heute zu den größten Seltenheiten des italienischen Bücher-
marktes gehörende Buch hat Vermiglioli i83o in Perugia neu aufgelegt; auch diese Ausgabe ist aber
heute sehr schwer zu beschaffen; die Inhaltsangabe in Comollis gleichfalls rarer Bibliografia storico-cri-
tica dell'architettura civile, ed arti subalterne (Roma 1788, vol. I, 12), bei Vermiglioli, Scrittori Peru-
gini, a.a.O. und Cicognara ^Storia della Scultura V, 237) treffen das Wesentliche der Sache zu wenig.
Es wird also wohl angebracht sein, hier eine Analyse zu geben.

Dem ersten Buche — dem einzigen, das gedruckt worden ist, — geht eine vom 20. April 1567 aus
Florenz datierte Widmung an Herzog Cosimo voraus, von der schon die Rede war. In ihr ist das Pro-
gramm des Künstlerautors angedeutet: als Vorbilder werden die Antike und die Kunst Michelangelos
aufgestellt, als Organon das unablässige praktische Studium der menschlichen Anatomie. Die folgende
Prefazione di tutta l'opera führt diesen Gedanken weiter aus; auch hier beginnt Danti mit einem (oben
reproduzierten) Hymnus auf Michelangelo. Sein Plan ist es, die wahren Proportionen des menschlichen
Körpers, des Einzigen, worum es sich in der bildenden Kunst wahrhaft handeln kann, als
Regel des Kunstschaffens aufzustellen, so wie sie zuerst und allein von Michelangelo begrün-
det worden sind.

Dieses Vorhaben bringt uns eine merkwürdige Stelle in der Biographie Michelangelos in Er-
innerung, die Ascanio Condivi unter den Augen des Meisters verfaßt hat.1 In ihr berichtet der
Schüler, daß Michelangelo einen anatomischen Traktat für Künstler schreiben wollte, um so mehr, als
ihm die in Italien viel gelesene Proportionslehre Dürers nicht genügte. Er wollte vor allem auch über

1 Condivi, Vita di Michelangelo Buonarroti, Pisa (Capurro), 1823, c. 60, p. 72: Or per tornare alla notomia, lascio il
tagliar de' corpi, conciossiache il Iungo maneggiargli di maniera gli aveva stemperato lo stomaco, che non poteva ne mangiar,
ne bere, che pro gli facesse. E ben vero, che di tal facolta cosi dotto e ricco si parti, che piü volte ha avuto in animo, in
servizio di quelli, che voglion dare opera alla Scultura e Pittura, fare un'opera, che tratti di tutte le maniere di'moti
umani e apparenze, edell'ossa, con una ingegnosa teorica, per lungo uso da lui ritrovata: e 1'arebbe fatta, se non
si forse diffidato delle forze sue, e di non bastar a trattar con dignitä ed ornato una tal Cosa, come farebbe uno nelle scienze
e nel dire esercitato. So bene, che quando legge Alberto Duro gli par cosa molto debole; vedendo coli' animo suo quanto
giusto suo concetto forse per essere piü bello e piü utile in tal facultä. E a dire il vero, Alberto non tratta se non delle
misure e varieta de'corpi, di che certa regola dar non si puö, formando le figure ritte come pali: e quel che piü importava,
ne pensa di poter in scritto mostrare al mondo questa sua fantasia, egli con grande amore minutissimamente mi ha ogni cosa
aperta, il che anco comincio a conferire con messer Realdo Colombo, notomista e medico cerusico eccellentissimo, ed
amicissimo di Michelagnolo, e mio; il quäle per tale effetto gli mandö un corpo morto d'un moro, giovane bellissimo, e
quanto dir si possa dispostissimo; e fu posto in Santa Agata, dove io abitava, ed ancora abito, come in luogo remoto: so-
pra il qual corpo Michelagnolo molte cose rare e recondite mi moströ, forse non mai intese, le quali io tutte notai: e un
giorno spero, coli' aiuto di qualche uomo dotto, dar fuore, a commoditä e utile di tutti quelli, che alla Pittura e Scultura
voglion dare opera: ma di questo basti.

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