Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

DOI issue:
I. Teil: Abhandlungen
DOI article:
Schlosser, Julius von: Aus der Bildnerwerkstatt der Renaissance: Fragmente zur Geschichte der Renaissanceplastik
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0095
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Aus der Bildnerwerkstatt der Renaissance.

85

perfezione d'un composto di cose nell'attezza, se le conviene, per conseguire il suo fine», sagt Danti.
Zu dieser körperlichen tritt die geistige Schönheit, als Anmut (grazia), die auf intellektuellen Potenzen
beruht. Die Ursache des Gefallens an der Schönheit ergibt sich aber aus ihrer Identität mit dem
durch die Zweckmäßigkeit geforderten Guten. Das die Renaissanceästhetik bestimmende neupla-
tonische Fundament dieser Kunstphilosophie liegt hier offen zutage.

Das Mittel, zur Feststellung der Proportion als der speziellen Anwendung des allgemeinen Prinzips
des ordine zu gelangen, gibt die Anatomie an die Hand. Die Proportion muß lehrbar sein; das ist
tatsächlich der Fall in der Architektur, die auch bereits in ein festes Lehrgebäude gebracht worden
ist, so daß ihre Ausübung wesentlich erleichtert wurde. «Heute kann jeder, der zwei Linien zu ziehen im-
stande ist, dank diesen Regeln Architekt werden», sagt Danti, eine klassische Äußerung jener Zeit mit
ihrer selbstfrohen Uberschätzung des Theoretischen, die noch bis in die Tage der regelmäßigen Dicht-
kunst eines Gottsched nachwirkt. Man braucht nur an die dickleibigen Kompendien der Architektur
von Vignola und Palladio bis auf Scamozzi herab zu denken, um zu erkennen, wie der in Italien seit jeher
vorhandene Baudilettantismus durch dergleichen ihm recht und ausdrücklich auf den Leib geschnittene
Anweisungen Nahrung erhalten hat.

Solche Handweisung fehlt aber den eigentlichen Künsten der Zeichnung, der Plastik und Malerei.
Zwar gibt es Proportionslehrer, die sich bemühen, ein bestimmtes Normalmaß aufzustellen, aber dieses Maß
findet keine rechte Anwendung auf den menschlichen Körper, der sein eigentümliches Leben erst in der
Bewegung enthüllt, also, ungleich der starren Architektur, keine stabilen und unveränderlichen Propor-
tionen haben kann, so wie diese wieder, dem früher entwickelten Begriff der Attezza gemäß, — es ist das
«decorum» der alten Rhetorik und Poetik — je nach dem Lebensalter verschieden sein muß. Ein einheit-
liches Maß für bestimmte Körperteile aufzustellen, ist deshalb unmöglich, weil sich die Glieder bei der
Bewegung in Umfang und Länge fühlbar ändern. Es ist also ein auf dem Wege logischer Überlegung
gewonnenes intellektuelles Maß notwendig. Hier läßt sich der Einwand erheben — den der Naturalis-
mus aller Perioden auch tatsächlich erhebt —: genügt es nicht, den Menschen, so wie er ist, also das
konkrete Modell, treu zu kopieren, sind somit Regeln nicht überhaupt überflüssig? Danti antwortet
darauf mit dem alten platonischen Schulconcetto: Die vollendete Schönheit, die eine Idee ist, läßt sich
nirgends im einzelnen Körper auffinden; die Kunst hat die Aufgabe, die schönen Einzelteile aus der
Natur aus- und zusammenzulesen (il composto). Das hat eben Michelangelo erkannt, der so viel über
diese Dinge nachgedacht hat; und darauf beruht das Modellstudium vieler Künstler, die ihre Körper
aus einzelnen schönen Teilen verschiedener Modelle zusammensetzen. Doch ist solches Studium lang-
wierig und mühevoll; daher andere vorziehen, sich einen Stil («maniera») zu bilden, indem sie sich
der schön geformten Vorbilder besonderer Trefflichkeit aus der Antike wie aus der Moderne bedienen.
Aber wieder hat Michelangelo erkannt, daß auch dies nicht der richtige Weg sei: denn diese von ver-
schiedenen Modellen genommenen Teile können unmöglich in ihren Verhältnissen gleichartig sein, es
wäre denn, daß sie sämtlich einer bestimmten Altersstufe angehörten, was kaum möglich ist; überdies
sind die Schönheitsqualitäten auch in diesem Falle zu sehr verschieden. Darum hat sich Michelangelo
zwölf Jahre hindurch ununterbrochen der Anatomie ergeben; aus diesem Studium heraus sind die herr-
lichen Verhältnisse seiner Figuren entstanden. Das ist der Weg, den auch Danti gehen will.

Es ist jedoch zwischen simpler direkter Naturwiedergabe, dem ritrarre, der das Modell mit allen
seinen Unvollkommenheiten wiedergibt, und dem geläuterten, eigentlich künstlerischen Verfahren, dem
imitare, zu unterscheiden; hier meldet sich der alte Concetto der Nachahmung im Sinne der aristote-
lischen Kunstlehre: die Dinge nicht wiederzugeben wie sie sind, sondern wie sie sein sollten.

Diese Bestimmung muß aus der Teleologie der Natur herausgeholt werden, aus jener organischen

Zweckmäßigkeit, die auch alle Schönheit in sich faßt. Das gilt für alle drei Reiche der Natur, für das

vegetative sowohl als auch das sensitive und intellektuelle. Der Marmor ist der schönste weiße

Stein, weil er seinem inhärenten Zweck, möglichster Weiße und Härte zugleich, am meisten entspricht.

Die organische Bildung des Baumes ist vollkommen, weil die Stellung der Äste ihren Zweck, die Wurzel

gleichmäßig vor Sonne und Regen zu schützen, erfüllt und dem von der Natur gewollten Zweck voll-

12*
 
Annotationen