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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

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I. Teil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Aus der Bildnerwerkstatt der Renaissance: Fragmente zur Geschichte der Renaissanceplastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0107
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Aus der Bildnerwerkstatt der Renaissance.

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teilweise vollrund ausgearbeiteten Figuren sich vom Hintergrund lösen, vor einer flachen Bühnenwand er-
scheinen, findet sich hier wieder. Endlich kann noch die Figur der Spes am Sarkophag des Vendramingrab-
mals in SS. Giovanni e Paolo, einer gemeinsamen Arbeit der Brüder, herangezogen werden (Fig. 22).

Daß nun die bisher besprochenen Stücke nicht nur ihrem Stil nach sondern auch inhaltlich zu-
sammengehören, eine wirkliche Serie bilden, ergibt sich, auch abgesehen von dem im ganzen überein-
stimmenden Format, aus ihren Vorwürfen. Bei allen handelt es sich um Exempel heroischer Gattenliebe,
um berühmte Vertreterinnen derselben aus der alten Geschichte: Eurydike, Lucretia, Portia. Wie sehr
die Renaissance solche zum Teil noch vom Geiste des Mittelalters übernommene Reihen liebte, ist zu
bekannt, um weiterer Erörterung zu bedürfen. Dank der Zuweisung an den wahren Autor ist auch die
chronologische Feststellung der Originalserie gegeben; sie muß vor 1516,
dem Todesjahr Antonios, entstanden sein.

Weitere Beispiele, die sich in diese Serie einreihen ließen, sind mir
bisher freilich nicht bekannt geworden; sie werden sich aber vielleicht
noch finden lassen. Dagegen möchte ich hier noch auf ein paar in Stil
und Auffassung verwandte Reliefs hinweisen, die mit dem Atelier des
Antonio Lombardo in Zusammenhang stehen dürften.

Vor allem gehört das schon früher flüchtig erwähnte Relief des
Salomonsurteils im Louvre sicher in diesen Kreis, wie der Verfasser des
Oppenheimschen Katalogs richtig gesehen hat. Nur ist der Künstler
kein Mailänder sondern niemand anderer als Antonio Lombardo selbst,
der hier eine höchst charakteristische Probe seines Stils gibt. Die Be-
handlung des Ganzen wie der Einzelheiten der Körperformen, die Dra-
perie, die eigentümliche Reliefbühne, die sorgsame Detailarbeit weisen
es ihm zu. Charakteristisch venezianisch ist das eigentümlich lastende
Standmotiv der Mutter, das wieder an unsere Reliefserie anklingt, dann
bei Jacopo Barbari und nicht zum wenigsten durch seine Vermittlung bei
den Deutschen, Dürer voran, weitergeht. Höchst merkwürdig, Antonios
beglaubigten Werken ganz entsprechend, ist das auffällige, aber von tos-
kanischer Weise grundverschiedene Antikisieren dieses Reliefs; der bibli-
sche Vorgang ist, mit Aufwendung aller Kostümmittel, in eine römische
Tribunalszene travestiert: Salomon auf seiner Rednerbühne, die Figur
der falschen Mutter mit ihrem Musenkopf, die Inschrifttäfelchen im Hin-
tergrunde sind ebensoviel Beweise dafür (Fig. 23).

Ferner befindet sich im Baron Stieglitzschen Kunstgewerbemuseum zu St. Petersburg ein Alabaster-
relief, das, gleich dem vorigen, mit dem Atelier der Lombardo zusammenhängen dürfte (Taf. XX, 2). Es
zeigt einen völlig nackten Mann mit leidendem Gesichtsausdruck, der auf einem Baumstumpf sitzt und
den auf eine niedrige Balustrade gestützten kranken Fuß mit einem Vogelflügel fächelt, eine Dar-
stellung, die auf antike Gemmen zurückgeht (vgl. den Cameo des Boethos bei Furtwängler, Ant. Gemmen
LVII, 3). Hinter ihm wird eine perspektivisch verkürzte Säulenhalle sowie ein Orangenbaum sichtbar,
an dem Bogen und Köcher mit gefiederten Pfeilen hängen. Die sich gleich einstellende Vermutung, daß
es sich um Philoktet handelt, den siechen Bogenschützen und unseligen Erben der mit dem Blut der
lernäischen Schlange vergifteten Pfeile des Herakles (vgl. Hygini Fab. 34, 36), der, auf der Insel Lemnos
ausgesetzt, sich kümmerlich von Vogelwild ernährt, wird durch die metrische Inschrift bestätigt: VVL-
NERA LARNAEO DOLET HIC POEA (Lücke, vom linken Fuß verdeckt) EROS, was wohl, mit
Emendierung des vom Steinmetzen gemachten Schnitzers (des e mit a) zu lesen ist:

Vulnere Lernaeo dolet hic Poeantius heros (d. i. Philoktet, Sohn des Poias).1

1 Lesung und Deutung des Hexameters verdanke ich meinem verehrten Freund und Kollegen Wilhelm Kubitschek.
Der des klassischen Lateins wenig kundige Steinmetz hat das e seiner Vorlage offenbar zweimal als'a verlesen; auch das E
in Poean(tius) sieht mehr einem L ähnlich.

Fig. 22. Antonio Lombardo, Spes.
Venedig, SS. Giovanni e Paolo.
 
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