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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

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I. Teil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Aus der Bildnerwerkstatt der Renaissance: Fragmente zur Geschichte der Renaissanceplastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0111
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Aus der Bildnerwerkstatt der Renaissance.

IOI

genossen entsprechenden Verbreitung wird noch die Rede sein. Sandrart, der selbst dergleichen Güsse mit
nach Hause gebracht hat und in seiner Kunstkammer eine Bossierung «in Erde», also wohl ein Original-
modell des ihm engbefreundeten Meisters besessen hat (T. A. 1679 II, 71, s.u.), charakterisiert sie in seiner
vierschrötigen Sprachweise: «besonderlichen Kindern und Knaben, die er ganz anmutig und artig, als
ob es natürlich Fleisch wäre, gemacht . . dann er dem Fleisch gleichsam ein beweglich Leben gegeben,
und den Kindern pratschete, feißte und dickebackete Milch-Mäuler mit Grüblen auf den Knien, Elen-
bogen und Fingern, gestalt der Natur so ähnlich, daß niemals auch keiner von den Antichen

Fig. 26. Francesco Fiammingo, Schlafendes Kind.
Wien, kunsthistor. Hofmuseum.

diese Natürlichkeit erreichet. Daher jedermann dergleichen posierte Kinder verlangt hatte, die er
vielfältig gar hurtig und geschwind gemacht» (T. A. 1675 II, 34g).

Baldinucci (Mailänder Ausgabe XII, 3i3) weiß zu erzählen, wie der Fiammingo mit seinem
Hausgenossen Poussin zusammen durch Tizians Kindergestalten zu diesen Schöpfungen angeregt
wurde, und Bellori hat in seiner Biographie des Künstlers (Vite 168) einen recht bemerkenswerten
Exkurs über diesen Kindertypus des niederländischen Meisters und seiner Nachfolger; der gelehrte Kri-
tiker hat das barocke Element in diesen schwammigen unreifen Säuglingsformen in ihrer bewegten Aktion
wohl herausgefühlt, das eine noch spätere Zeit, die Entwicklung der Antike von der dominierenden
männlichen durch die weibliche zur kindlichen Form wiederholend, zuweilen bis zur Karikatur gesteigert
hat. Vom alten Standpunkte der Renaissanceästhetik erhebt er dagegen schwere Bedenken; zwei ihrer
wesentlichsten Kategorien, das «Decorum», d. i. die dem gegebenen Lebenscharakter entsprechende
Prägnanz und die wohlgefällige Proportion, scheinen ihm verletzt.

Wie das Stücklein unter die antiken Reste geraten ist, ist nicht leicht erklärlich. Der gelehrte Groß-
neffe des Altmeisters, der jüngere Michelangelo, der die Casa Buonarroti zu einem Museum ausgestaltete,
wird die weitverbreitete Schöpfung eines Zeitgenossen wohl richtig einzuschätzen gewußt haben. Fast
möchte einem der Gedanke kommen, das Modell des hochgeschätzten Meisters sei hier eingefügt, um
die Überlegenheit der modernen vor der alten Skulptur zu illustrieren, ein Thema, das damals, in jenem
Zeitalter der ihrer selbst bewußt gewordenen höchsten Virtuosität, in der Luft lag. Der Dichter der
Secchia rapita, AlessandroTassoni, hatte in seinem vielgelesenen Aphorismenbuche (Dieci libri di pensieri
diversi, Ven. 1617, 1. X, c. 19) mit einem von Koketterie nicht ganz freien Eifer die These aufgestellt
und verteidigt, die eine Generation später in Frankreich zu einem Modethema wurde.

2. In den Sammlungen findet man nicht selten das feine Bronzebüstchen eines Mädchens, dessen
zur Seite geneigter Kopf mit dem schwermütigen Ausdruck die charakteristische Sentimentalität der
von Tasso eingeleiteten Periode erkennen läßt. Das sehr schöne Exemplar des Hofmuseums ist hier in
Abbildung wiedergegeben (Fig. 28). Mein verstorbener Freund Wolfgang Kailab hat zuerst erkannt,
daß es von einem andern in ganz Italien berühmten Werke Fiammingos, der heiligen Susanna in
S. Maria di Loreto am Trajansforum, abgeleitet ist (Fig. 27). Es handelt sich auch sicher um ein

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