Aus der Bildnerwerkstau der Renaissance.
oben, von unten, in der gewünschten Beleuchtung gezeichnet. Campi bedient sich zu diesem Zwecke
eines eingehend beschriebenen Hilfsmittels, des mit Faden bespannten Visierrahmens, dessen einzelne
Quadrate den Kopflängen der kleinen Hilfsmodelle entsprechen. Es ist ein Instrument zur Erleichterung
für perspektivische Aufnahmen (Velo), dessen Erfindung sich Alberti in seinem Traktat über die Malerei
ausdrücklich zuschreibt und dessen Kenntnis Dürer wohl gleichfalls den Mailändern verdankt (über die
Verwendung der später als unwissenschaftlich mißachteten «graticola» im verlorenen Traktat desBraman-
tino cf. Lomazzo, TrattatoV, 21 und Idea c. 4). Armenino berichtet, daß Michelangelo sich für sein
Fig. 40 und 41. Gliederpüppchen.
ühemals in der Sammlung Posonyi.
Jüngstes Gericht derartiger Hilfsfiguren bedient habe, wie auch sein Nachfolger Daniele da Volterra.
Sehr bezeichnend ist die abfällige Äußerung Lionardos, die Armenino aus dem Munde eines Schülers
des letzteren in Mailand vernommen hat. Freilich ist sie in dieser Fassung nicht richtig, denn Lionardo
war längst tot, als der Meister an sein Alterswerk ging; der Tenor der Äußerung stimmt aber völlig zu
Lionardos, des großen Naturkündigers, Wesen, dessen künstlerische Wurzeln im Quattrocento haften. Es
ist tatsächlich ein Gegensatz, der auf persönlicher und stilistischer Eigenart ruht. Lionardo tadelt das
allzu Typische, Gleichförmige in den Gestalten der großen Rivalen, das hier letzten Endes, unhistorisch
und überpragmatisch aus der Verwendung solcher gleichförmiger Hilfsmodelle erklärt wird: daß also die
Muskeln und Körperlinien des Jünglings dieselben seien wie beim Greise, ist für ihn eine Verletzung der
ästhetischen Grundforderung der Renaissance, des decorum. Der Realist Lionardo wehrt sich gegen die
Gleichgültigkeit der kostbaren individuellen Form gegenüber, ihr Aufgeben zugunsten rein stilistischer
Form- und Bewegungsprobleme allgemeinen Gehalts; es ist die Erbschaft, die Michelangelo tatsäch-
oben, von unten, in der gewünschten Beleuchtung gezeichnet. Campi bedient sich zu diesem Zwecke
eines eingehend beschriebenen Hilfsmittels, des mit Faden bespannten Visierrahmens, dessen einzelne
Quadrate den Kopflängen der kleinen Hilfsmodelle entsprechen. Es ist ein Instrument zur Erleichterung
für perspektivische Aufnahmen (Velo), dessen Erfindung sich Alberti in seinem Traktat über die Malerei
ausdrücklich zuschreibt und dessen Kenntnis Dürer wohl gleichfalls den Mailändern verdankt (über die
Verwendung der später als unwissenschaftlich mißachteten «graticola» im verlorenen Traktat desBraman-
tino cf. Lomazzo, TrattatoV, 21 und Idea c. 4). Armenino berichtet, daß Michelangelo sich für sein
Fig. 40 und 41. Gliederpüppchen.
ühemals in der Sammlung Posonyi.
Jüngstes Gericht derartiger Hilfsfiguren bedient habe, wie auch sein Nachfolger Daniele da Volterra.
Sehr bezeichnend ist die abfällige Äußerung Lionardos, die Armenino aus dem Munde eines Schülers
des letzteren in Mailand vernommen hat. Freilich ist sie in dieser Fassung nicht richtig, denn Lionardo
war längst tot, als der Meister an sein Alterswerk ging; der Tenor der Äußerung stimmt aber völlig zu
Lionardos, des großen Naturkündigers, Wesen, dessen künstlerische Wurzeln im Quattrocento haften. Es
ist tatsächlich ein Gegensatz, der auf persönlicher und stilistischer Eigenart ruht. Lionardo tadelt das
allzu Typische, Gleichförmige in den Gestalten der großen Rivalen, das hier letzten Endes, unhistorisch
und überpragmatisch aus der Verwendung solcher gleichförmiger Hilfsmodelle erklärt wird: daß also die
Muskeln und Körperlinien des Jünglings dieselben seien wie beim Greise, ist für ihn eine Verletzung der
ästhetischen Grundforderung der Renaissance, des decorum. Der Realist Lionardo wehrt sich gegen die
Gleichgültigkeit der kostbaren individuellen Form gegenüber, ihr Aufgeben zugunsten rein stilistischer
Form- und Bewegungsprobleme allgemeinen Gehalts; es ist die Erbschaft, die Michelangelo tatsäch-