Die Bildnisse Kaiser Maximilians t.
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entstanden. Lucas weilte damals wahrscheinlich schon in Antwerpen; wenigstens wissen wir, daß im
folgenden Jahre Dürer mit ihm dort zusammentrifft und daß er 1522 in die Antwerpener Lukasgilde auf-
genommen wird. Es erscheint mir recht wahrscheinlich, daß Lucas das Blatt in der Absicht radierte,
um die Augen der Regentin auf
sein Werk und sich zu lenken.
Kurz vorher war ja Dürers Holz-
schnitt erschienen und die allge-
mein verbreitete Kopie dieses
Blattes diente augenscheinlich dem
Niederländer als Vorbild. Lucas
hat für seine im Gegensinne er-
scheinende Radierung Kostüm,
Wendung des Kopfes und Bildung
der Züge beibehalten. Naturge-
mäß ist manches von der Porträt-
schärfe durch die Übertragung ver-
loren gegangen, die Nase ist län-
ger und gerader geworden, der
Mund breiter, die Augenlider sind
faltiger, das Kinn tritt weniger
scharf plastisch vor, die Nasen-,
Mund- und Wangenfalte ist stär-
ker betont. Diese kleinen Ände-
rungen mögen dem Zufall zuge-
schrieben werden; sicher beab-
sichtigt ist eine andere, die den
Fall der Haare betrifft. In groß-
artigem Schwünge haben sich diese
bei Dürer unterhalb der Schläfe
abgebogen, um sich am Halse wie-
der an die Haut anzuschließen; bei
Lucas van Leyden fallen sie straff
herab. Dieser prachtvolle Schwung
hebt sich bei Dürer von dem wei-
ßen Hintergrund ab und vermit-
telt zwischen dem breiten Hut und den Schultern. Er dient also rein künstlerischen Zwecken und
weicht ab von den übrigen authentischen Porträten, bei denen Maximilian stets glatte Haare trägt.
Dennoch möchte ich diese Auflockerung der Haartracht nicht für eine freie Erfindung Dürers halten,
da sie sich bereits, allerdings in weniger ausgesprochener Form, auf der nach dem Leben gemachten
Zeichnung vorfindet und es kaum glaublich ist, daß Dürer schon hier um der geplanten Wirkung
willen die Natur zu korrigieren gewagt hätte. Die straff gekämmten Haare mögen sich durch die Ein-
wirkung der Luft in der Tat oft beim Kaiser gelockert haben; die pedantischen Künstler wie Preda
und Strigel geben natürlich den frisch geschniegelten Anblick, Dürer gibt wahrheitsgetreu den unbeab-
sichtigten, sich unwillkürlich im Laufe des Tages bildenden Schwung der Haare. Diese natürliche
Fig. 54. Cornelis Vischer, Kupferstichbildnis Maximilians I.
die Zeichnung im Gegensinn und in allen Einzelheiten getreu, was im ganzen Vorzeichnungen wenig entspricht. An eine
Zeichnung nach dem Stich kann aber nicht gedacht werden, da die sehr sorgfältige, detaillierte Strichführung vollkommen
abweicht. Auch der Umstand, daß das Tavolino mit Monogramm und Jahreszahl unausgefüllt. d. h. schraffiert ist, spricht
für eine Originalzeichnung oder die Kopie einer Originalzeichnung. Genaueres läßt sich vor dem Auftauchen des verschollenen
Originals kaum feststellen.
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entstanden. Lucas weilte damals wahrscheinlich schon in Antwerpen; wenigstens wissen wir, daß im
folgenden Jahre Dürer mit ihm dort zusammentrifft und daß er 1522 in die Antwerpener Lukasgilde auf-
genommen wird. Es erscheint mir recht wahrscheinlich, daß Lucas das Blatt in der Absicht radierte,
um die Augen der Regentin auf
sein Werk und sich zu lenken.
Kurz vorher war ja Dürers Holz-
schnitt erschienen und die allge-
mein verbreitete Kopie dieses
Blattes diente augenscheinlich dem
Niederländer als Vorbild. Lucas
hat für seine im Gegensinne er-
scheinende Radierung Kostüm,
Wendung des Kopfes und Bildung
der Züge beibehalten. Naturge-
mäß ist manches von der Porträt-
schärfe durch die Übertragung ver-
loren gegangen, die Nase ist län-
ger und gerader geworden, der
Mund breiter, die Augenlider sind
faltiger, das Kinn tritt weniger
scharf plastisch vor, die Nasen-,
Mund- und Wangenfalte ist stär-
ker betont. Diese kleinen Ände-
rungen mögen dem Zufall zuge-
schrieben werden; sicher beab-
sichtigt ist eine andere, die den
Fall der Haare betrifft. In groß-
artigem Schwünge haben sich diese
bei Dürer unterhalb der Schläfe
abgebogen, um sich am Halse wie-
der an die Haut anzuschließen; bei
Lucas van Leyden fallen sie straff
herab. Dieser prachtvolle Schwung
hebt sich bei Dürer von dem wei-
ßen Hintergrund ab und vermit-
telt zwischen dem breiten Hut und den Schultern. Er dient also rein künstlerischen Zwecken und
weicht ab von den übrigen authentischen Porträten, bei denen Maximilian stets glatte Haare trägt.
Dennoch möchte ich diese Auflockerung der Haartracht nicht für eine freie Erfindung Dürers halten,
da sie sich bereits, allerdings in weniger ausgesprochener Form, auf der nach dem Leben gemachten
Zeichnung vorfindet und es kaum glaublich ist, daß Dürer schon hier um der geplanten Wirkung
willen die Natur zu korrigieren gewagt hätte. Die straff gekämmten Haare mögen sich durch die Ein-
wirkung der Luft in der Tat oft beim Kaiser gelockert haben; die pedantischen Künstler wie Preda
und Strigel geben natürlich den frisch geschniegelten Anblick, Dürer gibt wahrheitsgetreu den unbeab-
sichtigten, sich unwillkürlich im Laufe des Tages bildenden Schwung der Haare. Diese natürliche
Fig. 54. Cornelis Vischer, Kupferstichbildnis Maximilians I.
die Zeichnung im Gegensinn und in allen Einzelheiten getreu, was im ganzen Vorzeichnungen wenig entspricht. An eine
Zeichnung nach dem Stich kann aber nicht gedacht werden, da die sehr sorgfältige, detaillierte Strichführung vollkommen
abweicht. Auch der Umstand, daß das Tavolino mit Monogramm und Jahreszahl unausgefüllt. d. h. schraffiert ist, spricht
für eine Originalzeichnung oder die Kopie einer Originalzeichnung. Genaueres läßt sich vor dem Auftauchen des verschollenen
Originals kaum feststellen.