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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

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I. Teil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Paralipomena aus der Skulpturensammlung des allerh. Kaiserhauses: Nachlese zu der Abhandlung: Aus der Bildnerwerkstatt der Renaissance
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https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0370
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3so

Julius von Schlosser.

Tränensäcken um die Augen bis zu den höchst energisch, aber keineswegs brutal vorstehenden Lippen,
über denen steilrecht die leicht gekrümmte Nase steht und der scharf gespannte Blick ins Weite fliegt!
Namentlich die Profilansicht vom Rücken her ist dafür außerordentlich charakteristisch und es ist nicht
unbegreiflich, wenn sich ein Freund an Typen Lionardos erinnert fand.

Toskanisch ist aber dieser eigentümlich stilisierte Naturalismus — wenn dieses Oxymoron erlaubt
ist — keineswegs, ebensowenig als die Art der subtilen Kleintechnik in Holz. Etwas von nordischer
Luft, die ja in die Gassen Mailands, Veronas, selbst noch Paduas von der Alpenkette in ihrem Rücken
her hereinstreicht, ist auch in dieser Figur zu spüren. Sie wird also wohl ein Werk dieser lombardisch-
venezianischen Region sein, in der die
Kleinbildnerei in Holz gern und häufig
geübt worden ist; es genügt, an einen
Künstler wie Francesco da S. Agata, den
Paduaner Goldschmied und Bronzeplasti-
ker, zu erinnern, dessen von 1520 datier-
ter Buchsherkules sich jetzt in der Wal-
lace-Collection in London befindet und
dessen Namen C. v. Fabriczyauch für den
meisterlichen kleinen Johanneskopf der
kaiserlichen Sammlungen in Vorschlag
bringen wollte (vgl. darüber mein Buch:
Werke der Kleinplastik in der Skulptu-
rensammlung des A. H. Kaiserhauses II,
S. 6 zu Tafel r, 2; vgl. auch Nr. 3: An-
täusrelief von 1522).

Padua und seine weitere Umgebung
dürften uns auch am ehesten Parallelen zu
unserer Figur liefern.

Vor allem möchte ich auf ein außer-
ordentlich interessantes Stück verweisen,
das sich in den neunziger Jahren des ver-
flossenen Jahrhunderts bei dem trefflichen
deutschen Antiquar Herrn Zuber in Vene-
dig auf Campo S. Stefano befunden hat
(Titelvignette). Die (modern bronzierte)
Fig. 4. Dornauszieher. ' Tonstatue, etwa 35 cm hoch, stellt einen

Berlin, kgl. Museen. ausruhenden Holzhauer vor, der, den

Kopf auf die Hand gestützt, das Beil im
linken Arm, auf einem Baumstumpf sitzt. Auch hier bemerkt man sorgfältigste Angabe des naturalisti-
schen Details, das härene Wams, die zerrissenen Bundschuhe, die aufgekrempelten Ärmel. Der Kopf ist,
ähnlich wie bei unserer Figur, realistisch, doch ohne eine Spur der im Norden so beliebten dörperhaften
Karikatur, vielmehr höchst edel und ausdrucksvoll gebildet, wie überhaupt das Stück ein vollendetes
Kunstwerk ist, das sich den Werken eines Meunier recht wohl an die Seite stellen darf. Die hoffnungs-
lose Müdigkeit des von schwerer Arbeit ausruhenden und in Sonnenhitze vor sich hinbrütenden Proleta-
riers ist mit großer Meisterschaft zum Ausdruck gelangt; es liegt viel von moderner Stimmung in dem
anspruchslosen Werkchen, das sicher vier Jahrhunderte alt ist und noch deutlich das Nachwirken dona-
tellesker Stilweise zeigt, die freilich durch eine ganz anders geartete künstlerische Persönlichkeit auf-
genommen und verändert wurde. Es ist wohl nicht derselbe Künstler, von dem unser schreitender
Mann herrührt, aber es ist die gleiche bodenständige Richtung. Sehr verwandt damit ist eine unge-
fähr gleich große Tonstatuette mit brauner Bemalung (3g cm hoch) in Berlin (Fig. 4), die das alte
 
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